vorheriger
Artikel
nächster
Artikel
Relektüren · von Rainer Metzger · S. 360 - 361
Relektüren , 2017

Relektüren

Folge 40
von Rainer Metzger

1959, als die französische Novelle Vague alles aus den Angeln hob, was mit Kino zu tun hatte, ergriff auch der bisherige Dokumentarfilmer Alain Resnais mit seinem Erstling „Hiroshima mon amour“ das Wort. Marguerite Duras, die die Franzosen in ihrer Höflichkeit mit S am Ende aussprechen, damit es nicht nach Ratte klingt, hatte das Drehbuch geschrieben. Ein strenges Werk, doch beim Wiedersehen heute fällt weniger der avantgardistische Elan auf als der Narzissmus, in dem eine Kultur um sich kreist. Die Liebesgeschichte einer Französin, die in Hiroshima einem Architekten aus Japan begegnet, hat allein aus ihrer, der weiblichen Perspektive Euphorie und Trauer und versagtes Happy-End. Die Jump Cuts passieren, um stets ihr Gesicht zu zeigen, und bei fortgeschrittenener Handlung wird der Mann immer mehr in eine Rolle gedrängt, die per Rückblende als diejenige eines deutschen Besatzungssoldaten manifest wird. Hiroshima verschmilzt mit der Provinzstadt Nevers, aus der die Frau kommt.

In dieser Konstellation erscheint es dann auch glaublich, dass Madame Duras erst während der Dreharbeiten Kenntnis davon bekam, dass Nevers auf Englisch, mit französischem Akzent ausgesprochen, „niemals“ heißt.

Man hatte es nicht nötig, mehr zu kennen als sich und seinen hochkulturellen Tellerrand. Die Mädchen wollten aussehen wie Juliette Greco, die Buben bald wie Serge Gainsbourg, das durfte genügen. 1978 hat Edward Said den Mechanismus, der bei Resnais den Japanern widerfuhr, „Orientalismus“ genannt, die Konstruktion von Osten durch eine Wahrnehmung, deren Kolonialismus in alle Ewigkeit festgeschrieben scheint. Ob dieser Osten der Nahe oder der Ferne ist, ließ sich wohlfeil ignorieren.

Vier Jahre vor…


Kostenfrei anmelden und weiterlesen:

  • 3 Artikel aus dem Archiv und regelmäßig viele weitere Artikel kostenfrei lesen
  • Den KUNSTFORUM-Newsletter erhalten: Artikelempfehlungen, wöchentlichen Kunstnachrichten, besonderen Angeboten uvm, jederzeit abbestellbar
  • Exklusive Merklisten-Funktion nutzen
  • dauerhaft kostenfrei