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Nachrichtenforum: Aktionen und Projekte · von Jürgen Raap · S. 332
Nachrichtenforum: Aktionen und Projekte ,

Aktionen und Projekte

Zwischen Reichtum und Askese. Begegnung im paradiesischen Engadin

Die Eröffnungsausstellung der neu gegründeten Stiftung der italienischen Kulturunternehmerin Beatrice Trussardi, die ihren ersten Sitz in Mailand hat, aber von diesem Sommer an gleichfalls als nomadisches Projekt Begegnungen mit zeitgenössischer Kunst international an wechselnden Orten zeigen wird, findet in einem zweifellos als bildschön zu bezeichnenden Bergpanorama im Schweizer Engadin statt. Auf Einladung des künstlerischen Leiters Massimiliano Gioni hat der polnische Künstler Pawel Althamer im Val Fex bei Sils Maria auf 2.000 m Höhe eine kleine Berghütte in eine mystische Kapelle verwandelt. Darin eine auf die betörende Schlichtheit der Landschaft bezugnehmende Figur des Heiligen Franz von Assisi, die, aus einfachem Pappmaché und natürlichen Materialien gefertigt, Silbermünzen und ein Kardinalsgewand zu Boden geworfen hat und damit symbolisch eine Rückkehr zur Natur und zum Verzicht ausruft. Askese und Armut, die den Lebensweg Franz von Assisis bestimmten und die Althamer aufgreift, indem er ihn nackt und ausgezehrt mit leidvollem Blick gen Himmel gerichtet in einen Ziegenstall stellt, von den Tieren umgeben und nur zu Fuß oder per Pferdekutsche über Bergpfade erreichbar, bedeuten an diesem für mondänen Tourismus berühmten Ort, an den das Publikum so weit wie möglich fast ausnahmslos per Flieger anreist, schon per se eine Divergenz. Darin zeigt sich auch die Komplexität der Installation, die einschließt, dass der Künstler die Harmonie aus freundlichen Ziegen in der verträumten Landschaft voll verschneiter Berggipfel und Blumenwiesen hinterfragt. Durch die Schönheit des Ortes angeregt diesen Heiligen zu schaffen, der einen persönlichen Schutz für ihn bedeutet, ein Ausdruck von Transzendenz und Religiosität, hat er die Reduktion auf das Wesentliche als etwas herausgestellt, das auch hier noch lebendig ist, aber durch den Jetset-Tourismus überlagert wird, der das, was er genießen will durch seinen Lifestyle zerstört. So wird der Heilige eine Referenz und eine Erinnerung an das Wesentliche, an den eigentlichen Reichtum der Natur und an unsere Verbindung zu ihr sowie an die Frage, wie wir uns denn das Paradies vorstellen. Eine Frage, die jede / r mit nach Hause nimmt und auf welche die Angestellten der umliegenden Hotels ihre ganz eigenen Antworten in einem dafür vom Künstler zur Verfügung gestellten Buch notieren können. Beatrice Trussardi Foundation, Schweiz, Val Fex, 11. Juli–29. August 2021. (Ann-Katrin Günzel)

www.beatricetrussardifoundation.com

Projekt Beyond Matter

BEYOND MATTER ist ein interdisziplinäres Projekt zur digitalen „Wiederbelebung vergangener, wegweisender Ausstellungen und zur Verbreitung von Dokumentationen neben aktuellen Kunstwerken auf innovative Weise.“ Projektpartner sind das ZKM Karlsruhe, das Centre national d’art et de culture Georges Pompidou, Weiss AG, Ludwig Múzeum – Kortárs Művészeti Múzeum, die Tallinn Art Hall, die Aalto University und das Tirana Art Lab. Im Rahmen des Projekts werden Artists-in-Residence-Programme angeboten, um neue Arbeiten für Ausstellungen zu entwickeln „zur Messung und Förderung praxisorientierter Innovationen“. Eine Online-Plattform, Publikationen und diverse Veranstaltungen begleiten das Projekt bis 2023. „Eines der Ziele ist es, neuartige Lösungen für die zugängliche digitale Dokumentation und vernetzte Präsentation von Ausstellungen zu entwickeln, die im physischen Raum existierten oder aktuell existieren – einschließlich ihrer Kunstwerke, Artefakte und Bildungsmaterialien. Diese Methoden der Virtualisierung von Ausstellungen könnten in Zukunft von Museen und Galerien genutzt werden, um ihre Ausstellungen auf neue Weise zu dokumentieren und wiederzubeleben.“

www.zkm.de

Werkleitzfestival in neuen Sphären

Unter dem Motto „move to sociosphere, ecosphere, bodydatasphere“ wird das Werkleitzfestival bis zum 12. September 2021 laufen. Mit den Worten „In welcher Welt möchten wir zukünftig leben? Werkleitz Festival in neuen Sphären“ umschreibt das Programm die Frage, welche Impulse die Kunst „in Zeiten globaler Transformation für die gesellschaftlichen, ökologischen und technologischen Herausforderungen der Zukunft geben“ könne.

www.moveto.werkleitz.de

Poesie-Automaten in Graz

Literarische Bildung und Erbauung für kleines Geld: für nur 50 Cent kann man bis zum 14. Dezember 2021 ein Gedicht aus einem der drei Grazer Poesie-Automaten im Stadtraum von Graz erwerben. Sonst bieten solche Automaten Bonbons, Spielzeugpüppchen oder Kondome feil, und nun – in Kooperation mit dem Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark – bislang noch unveröffentlichtes Schöngeistiges. Matthias Göritz kuratierte dieses Projekt und beruft sich bei seiner künstlerischen Idee auf den Nobelpreisträger von 1976 Joseph Brodsky, „dass Gedichte an jeder Tankstelle und Klassiker in billigen Ausgaben erhältlich sein sollten. Sie seien der gedankliche Treibstoff für den Tag, ein ‚kolossaler Beschleuniger des Bewußtseins, des Denkens, der Wahrnehmung der Welt‘.“ Thematisch sind die drei Lyrik- Automaten in „Frische Gedichte“ im Joanneumsviertel, „Mein Nachbar auf der Wolke“ auf dem Schloßberg und „Gefühlsechte Gedichte“ am Forum Stadtpark eingeteilt.

www.kioer.at

STOA169-Säulenhalle in Pooling

Im Künstlerdorf Polling verfolgt seit über 30 Jahren der Künstler Bernd Zimmer die Idee, einer „Halle der Kunst mitten in der Natur, getragen von über 100 individuell gestalteten Säulen von jeweils 3,90 m Höhe, geschaffen von international renommierten Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt. Mitten im sogenannten bayerischen Pfaffenwinkel entsteht am Flussufer der Ammer auf einer landwirtschaftlich genutzten Wiese in der Nähe des Dorfes Polling eine offene Säulenhalle: die STOA169. Künstlerinnen und Künstler aller Kontinente werden ausgewählt, je eine Säule zu gestalten.“ Wenn das Säulen-Konvolut komplett ist, trägt es das Dach der „STOA“, wie man in der griechischen Antike die Philosophenschule der Stoiker nannte. Soeben kam für den zweiten Bauabschnitt eine Säule aus Kenia in Polling an, dazu zwei weitere aus Portugal und Israel. Die bisherigen Beiträge stammen u .a. von der Klasse Rosenkranz an der Münchener Kunstakademie, Alicja Kwade, Alice Aycock, Ayşe Erkmen, Beat Zoderer, Brigitte Kowanz, Bjørn Melhus, Dani Karavan, Daniel Spoerri, Erwin Wurm und Georges Adéagbo.

www.stoa169.com

Gasometer Oberhausen: Das zerbrechliche Paradies

Die erste Ausstellung nach der umfangreichen Sanierung des Gasometers Oberhausen zeigt „die Schönheit der Natur und den Einfluss des Menschen auf seine Umwelt.“ Die Ausstellung „Das zerbrechliche Paradies“ nimmt „die Besucher mit auf eine bildgewaltige Reise durch die bewegte Klimageschichte unserer Erde und zeigt in beeindruckenden, preisgekrönten Fotografien und Videos, wie sich die Tier- und Pflanzenwelt in Zeiten des Anthropozäns verändert.“ Blickfang ist eine Erdkugel-Skulptur mit 20 m Durchmesser. „Um die Erdskulptur in ihre charakteristische Form zu bringen, wurde mit einer Kombination aus Luftdruck und 44 innen liegenden Halteleinen gearbeitet. Automatisch wird laufend der Luftdruck ,in der Erde‘ überwacht und reguliert. So ist gewährleistet, dass sich das Volumen der Kugel nicht verändert und die projizierten Bilder immer eine optimale Brillanz und Schärfe bieten. Dreizehn Projektoren sorgen für eine bestechende Bildqualität.“

www.gasometer.de

Michiel Vandeveldes Ghost of the Past im Pact-Zollverein

Die Uraufführung von Michiel Vandeveldes „Ghosts of the Past“ im Essener PACT-Zollverein ist bis 31. August 2021 als Performance, Film und online-Stream angekündigt. „Mit ,Ghosts of the Past‘ verwebt Michiel Vandevelde Fragmente seines choreographischen Schaffens zu einem ungewöhnlichen Film: in den markanten Räumen von PACT inszeniert er Passagen seiner choreographischen Arbeit der letzten neun Jahre. Eine Drone durchstreift das leere Gebäude von PACT. Ihre Reise ist eine Reise durch Zeit und Raum: sie führt durch die Dauer eines Tages, von den Morgenstunden bis zum Sonnenuntergang, vom Gang in das Gebäude von PACT, über die markant gekachelten Flure und großzügigen Bühnenräume, bis hin auf das ins Abendlicht getauchte Dach. Im Rückblick auf neun Jahre seiner choreographischen Arbeit inszeniert Vandevelde ,Ghosts of the Past‘ gleich einer filmischen Ausstellung.So wirkt der Film wie ein Gang durch eine außergewöhnliche Gedankenausstellung: jeder Raum birgt eigene Geister der Vergangenheit, Fragmente aus einem performativen Schaffen, in dem sich zahlreiche Querverbindungen spannen.“

www.pact-zollverein.de

Ars Electronica: Hybrider Event

Die diesjährige Ars Electronica wird ein hybrides Event, das vom 8. bis zum 12. September 2021 in Linz (Österreich) und an mehr als 100 Orten rund um den Globus stattfinden wird. Die Veranstaltung versteht sich als „weltweite Plattform für engagierte Menschen, die Zukunft nicht als Blick in die Kristallkugel der Technologiekonzerne, sondern als Verantwortung unserer Zeit sehen und diese Verantwortung auch annehmen. Ars Electronica in den Kepler’s Gardens wird abermals ein weltweit vernetztes Festival sein, das von mehr als hundert Partnerinstitutionen gemeinsam getragen wird – mit einem Zentrum in Linz, auf dem Campus der JKU und zahlreichen anderen Schauplätzen inmitten der Stadt.“

www.ars.electronica.art

Photoszene United Köln

Bis 19. August 2021 läuft das Festival Photoszene United Köln mit rund 80 Fotografieausstellungen an verschiedenen Orten der Stadt. Unter den derzeitigen Umständen wird es als „digitales, hybrides und analoges Fotofestival“ durchgeführt. Die Veranstaltungen enden mit dem „Internationalen Tag der Fotografie“. Zu diesem Abschluss eröffnet die Photoszene am 19. August 2021 noch zwei Ausstellungen zu zeitgenössischer junger Fotografie mit „You are here“ und „ Beyond II“. Eine virtuelle „Photoszene City“ ist zugänglich auf www.photoszene.de

Baden-Baden: kunst findet stadt

Bis 5. September 2021 verwandelt sich der Kurgarten vor dem Kurhaus Baden-Baden in einen „Kunst-Parcours für die Sinne.“ Unter dem Titel „kunst findet stadt“ bespielt der Künstler Jeppe Hein das Areal mit diversen Aktionen und Installationen. „Das Kunstwerk ,Appearing Rooms‘ holt das heilende Wasser der tiefen Quellen Baden-Badens an die Oberfläche des Bewusstseins. Mit der Arbeit ,Modified Social Benches‘ macht Jeppe Hein das Sitzen auf den Parkbänken im Kurgarten zum bewussten Akt der Kommuni kation, das eingeübte Sich-Ausweichen wird spielerisch in Frage gestellt. Die Spiegelinstallation ,Shift in Perception‘ zeigt die vertraute Umgebung in einer neuen Anordnung und die Wirklichkeit als gespiegelte Wirklichkeit. Mit den „Mirror Balloons“, verspiegelten Ballons an der freien Luft vor dem Kurhaus, regt Jeppe Hein die Menschen zum Wünschen an.“

www.kurhaus-badenbaden.de

Skulptur Frankfurter Schacht eingeweiht

Cyprien Gaillard hat seine Skulptur ,Frankfurter Schacht‘ (2021) eigens für den Ort in der Taunusanlage in Frankfurt am Main konzipiert. In den einstigen Wallanlagen „steht am Rande des Parks ein grauer Lüftungsschacht. Erst im Inneren des Schachts wird die Skulptur als solche sichtbar. Von Pink umschlossen und geschützt, im leichten Strom von Luft und Wasser, öffnet sich der Blick zum Himmel. Tag und Nacht für alle geöffnet, schließt sich der Schacht je nach Bedarf. Über zwei Jahre hinweg hat sich Cyprien Gaillard mit diesem Ort befasst und eine Skulptur geschaffen, die weder huldigt und preist noch erinnert und mahnt, sondern einfach nur dient. Inmitten des öffentlichen Raums entsteht ein Ort der Intimität.“

www.mmk.art