Thomas Wulffen
Androgyn – Sehnsucht nach Vollkommenheit
NBK, 17.11.1986-4.1.1987
Der Ort der Ausstellung kann als symptomatisch angesehen werden. In den Räumen der Akademie der Künste zeigt der ‘Neue Berliner Kunstverein’ sein Ausstellungsprojekt ‘Androgyn – Sehnsucht nach Vollkommenheit’. Der Titel muß als Ganzes gelesen werden, weil dadurch schon eine Interpretation des Themas gegeben ist. Erste Konzeptionen für das Thema entwickelten sich vor vier Jahren. Inwieweit diese Konzeptionen auf damals aktuelle Diskussionen über ein anderes Rollenverständnis von Mann und Frau zurückgehen, ließe sich nur durch ein zeitbezogenes Quellenstudium belegen. Angesichts der realisierten Ausstellung aber braucht sich die Frage nach der Aktualität nicht zu stellen. Im positiven Sinne ließe sich an der Konzeption von Ursula Prinz das Bemühen ablesen, die sozusagen ethnologischen und archäologischen Voraussetzungen solcher aktuellen Diskussionen darzustellen, im negativen Sinne ist ‘Androgyn’ eine akademische Ausstellung in der Akademie der Künste.
Das Thema wird in seiner weitestgehenden Bedeutung aufgefaßt und auch dargestellt. Der Untertitel deutet das schon an: ‘Sehnsucht nach Vollkommenheit’. Das läßt sich übersetzen in Ausgleich von Differenzen, Aufhebung von Dichotomien. Ausgehend von urgeschichtlichen Mythen, die das Prinzip des Ungeteilten beherrschten und im zweiten Schritt geteilt sind, entwickeln sich Gegensätze, deren Ausweitung auf scheinbar beliebige Gegenüberstellung möglich ist: männlich – weiblich, rechts – links, unten – oben, warm – kalt, hell – dunkel, trocken – feucht usw. Diese Oppositionen können erweitert werden zu Positiv – Negativ, Ideal und Dekadenz, Macht und Ohnmacht, Harmonie und Chaos. Am Ende steht das Androgyn als universales Prinzip im Raum, unter dem sich alles fassen läßt, zu dem sich…
