Hamburg
Andrzej Steinbach
Modelle und Verfahren
Kunstverein in Hamburg 05.03.–12.06.2022
von Rainer Unruh
Alles scheint so klar und einfach. Die Fotografien von Andrzej Steinbach sind streng komponiert. Beispielsweise „Figur I“ (2015). Die Serie zeigt eine junge Frau mit sehr kurzen Haaren. Wir sehen 30 Fotos, 30 Posen. Alle schwarzweiß, alle im Studio aufgenommen. Die Arbeiten sind an zwei gegenüberlegenden Wänden aufgehängt. Mal stemmt die Frau die Hände in die Hüften, mal dreht sie den Kopf. Mal trägt sie einen Hoodie, mal ein bedrucktes T-Shirt. Ein Model? Ein Skinhead? Je länger man die Bilder ansieht, desto mehr wächst die Unsicherheit.
„Manchmal bemerkt man in der Ferne ein Ziffernblatt, auf dem – unabsichtlich – die Stunde der Aufnahme festgehalten ist“, schrieb der Pionier Henry Talbot (1800–1877) über die Anfänge der Fotografie. Genau solche Hinweise hat Steinbach aus seinen Arbeiten sorgfältig eliminiert. Man weiß nicht, in welcher Zeit man die porträtierte Frau verorten soll. Sie hat nichts, was sie als Teil einer Jugendkultur ausweisen würde. Der Hintergrund ist weitgehend neutral, nur einmal sieht man auf einem Foto einen Pappkarton von Amazon. Manchmal lehnen Platten und Balken an der Wand: Die klaren Kanten sind Steinbachs Replik auf die Hohlkehle der klassischen Modefotografie.
Steinbach, 1983 in Czarnków (Polen) geboren, wuchs in Chemnitz auf, wo er sich zunächst für Musik interessierte und Teil der Clubkultur war. Olaf Nicolai und Wolfgang Tillmans öffneten ihm die Augen für die bildende Kunst. Es folgte ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig mit dem Schwerpunkt Fotografie. 2015 gelang ihm der Durchbruch mit…