Michael Hübl
Bilderbedarf
»Braucht Gesellschaft Kunst?«
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 20.10.2012 – 17.2.2013
Aufklärung, die blendet, ist Gegenaufklärung. So müsste das Resümee einer Ausstellung lauten, die im Titel eine weitreichende Frage stellt: „Bilderbedarf. Braucht Gesellschaft Kunst?“. Aufklärung, die blendet, wäre Gegenaufklärung, wenn sich die Kunsthalle Baden-Baden bei ihrem Projekt darauf beschränkt hätte, einzig Alfredo Jaars „Lament of the Images“ (2002) zu zeigen. Die Konstellation ist seit der Documenta 11 bekannt: Drei nachrichtliche Texte verweisen auf Momente visueller Depravierung. Der älteste datiert vom 11.Februar 1990 und beschreibt Nelson Mandelas Freilassung nach 28 Jahren Haft auf Robben Island; er habe „ins Licht geschielt, als wenn er geblendet worden wäre“ heißt es in der Notiz. Die mittlere Meldung verweist auf eine Verknappung historischer Bildinformation, wie sie für die Allgemeinheit dadurch entsteht, dass sich Microsoft-Gründer Bill Gates exzessiv Bildrechte sichert; im April 2001 sollen es bereits 65 Millionen gewesen sein. Einen anderen blinden Fleck markiert das Vorgehen des U.S. Defense Department, das laut eines dritten Textes im Oktober 2001 sämtliche verfügbaren Satellitenbilder von Afghanistan und seiner Nachbarregionen erwarb, bevor die USA mit Luftangriffen auf den zentralasiatischen Staat begannen. Eine objektive Bildberichterstattung über die Folgen des insgesamt 44 Stunden anhaltenden Bombardements blieb damit ausgeblendet.
Wer Alfredo Jaars „Lament“ durchläuft, den erwartet eine weitere, spezielle Blendung. Zunächst findet er sich in der Rolle des mutigen Einzelgängers, der in Platos „Höhlengleichnis“ Richtung Licht aufbricht und feststellen muss, dass alles, was er bislang für Realität hielt, Schattenspiel war. Einen solchen Erkenntnisgewinn verspricht auch Jaars Anlage. Nach der Lektüre der Info-Trias betritt…