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Titel: Kunst der Fiktion der Kunst · von Sabine B. Vogel · S. 148 - 155
Titel: Kunst der Fiktion der Kunst , 2010

Sabine B. Vogel
Die Fiktion von Wirklichkeit

I.

Sie basteln und archivieren, dokumentieren und inszenieren – Wirklichkeit wird nicht mehr abgebildet, sondern erzeugt. Ob Thomas Demand, der eine fotografierte Szene modellhaft nachbildet und als Fotografie der papierenen Wirklichkeit in den Kreislauf der Medien neu einspeist oder Lois Renner, der ein Modell baut und in dessen Fotografie dann gemalte, gebaute, reale und digitale Versatzstücke der Wirklichkeit verschmilzt; ob Christoph Büchel, der im Museum ein Sonnenstudio aufbaut oder die „Atlas Group“, die ein inszeniertes Archiv präsentiert – sie alle lassen es unmissverständlich werden: Wirklichkeit ist eine Konstruktion.

„Deutsche Grammatik“ nennt Büchel seine Ausstellung 2008 in Kassel und platziert eine Spielhalle und ein Sonnenstudio, einen Supermarkt und ein Fitnesscenter in das Museum Fridericianum. Anfang des 19.Jahrhunderts lebten in dieser Stadt die Gebrüder Grimm. 1818 schrieb Jacob Grimm hier seine wegweisende „Deutsche Grammatik“ – ein Titel, den sich Büchel für die Ausstellung ausleiht. Grimm zeichnete die Entwicklungen der Sprache nach und schuf so das Fundament für die moderne Etymologie. Büchels „Deutsche Grammatik“ dagegen zeichnet den Bedeutungswandel nicht in Worten des Alltags nach, sondern in der konsumgeprägten Wirklichkeit. Seine „Deutsche Grammatik“ imitiert und inszeniert den Alltag, selbst eine Tourismusmesse für ostdeutsche Bundesländer und eine Kneipe gehören dazu. Die allerdings ist nicht zu benutzen, stattdessen liegen überall Papierschnipsel herum – die auf jene 45 Tonnen Akten anspielen, die die Stasi 1989 vernichten ließ.

Büchels Ausstellung präsentiert uns in aneinander gereihten Platzhaltern eine Grammatik der (deutschen) Wirklichkeiten, vom täglichen Einerlei des Supermarkts bis zur politisch-geschichtlichen Realität der Wiedervereinigung. Dabei treffen Inszenierung…


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