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Ausstellungen: München / Innsbruck · von Heinz Schütz · S. 384 - 385
Ausstellungen: München / Innsbruck , 2000

Heinz Schütz
Die verletzte Diva

»Hysterie, Körper, Technik in der Kunst des 20. Jahrhunderts«

Lenbachhaus Kunstbau, Kunstverein, Rotunde Siemens Kulturprogramm,
Galerie im Taxispalais, Innsbruck, 3.3. – 7.5.2000
Staatliche Kunsthalle, Baden-Baden, 25.6. – 17.8.2000

Zwei gleichzeitig in München veranstaltete Ausstellungen fordern den Vergleich geradezu heraus: „Beauty now“ im Haus der Kunst und, über mehrere Institutionen verteilt ,“Die verletzte Diva“. Die gemeinsame Schnittmenge der beiden Ausstellungen besteht in der Auseinandersetzung mit dem Körper in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Während „Beauty now“ tendenziell die Rückkehr unmittelbarer Sinnlichkeit propagiert (s. vorangegangene Ausstellungsbesprechung), kann „Die verletzte Diva“ als kritizistischer Gegenpol verstanden werden, der, in Fortsetzung des poststrukturalistischen Diskurses, Körperpolitik und Genderdebatte ins Spiel bringt.

Die Diva-Ausstellung spannt einen Bogen, der vom Surrealismus bis zur Kunst der Gegenwart reicht. Das im Titel programmatisch umrissene Themenfeld ist weit: Verletzung, Diva – sprich: Film, mediale Ikone, Weiblichkeit –, Hysterie, Körper und Technik. Um es zu bewältigen, bedarf es eines intellektuellen Spagates, der sich um kleinteilige, historische Differenzierungen nicht kümmert, dafür jedoch eine Neuinterpretation der Kunstgeschichte vorschlägt, und die Geburt der Kunst des 20. Jahrhunderts aus dem Geist der Hysterie erklärt, wobei dieser Geist die Züge eines männlichen Fantasmas von Weiblichkeit trägt. Ein derartiges diskursbetontes Unternehmen birgt zwangsläufig die Gefahr, sich im Rücken der Exponate zu bewegen und sie als Beleg der theoretischen Konstruktion zu unterwerfen, eine Gefahr der auch die Ausstellung nicht entgeht.

Das im Hintergrund stehende Programm lässt sich durch die Herkunft des Ausstellungstitels in einem Moment seiner Grundspannung illustrieren. „Die verletzte Diva“ ist einer Abhandlung über die Schauspielerin Heddy Lamarr entlehnt. Lammar wurde durch die erste Nacktrolle der Filmgeschichte in „Ekstase“ (1933) berühmt. Was kaum wahrgenommen wurde ist die Tatsache, dass sie als Erfinderin während des Zweiten Weltkrieges eine Funkfernsteuerung für Torpedos entwickelte. In Lammar tritt der Gegensatz hervor zwischen der medialen Präsenz des weiblichen Körpers und der Unterdrückung ihres technologischen Verstandes. Die Ausstellung bescheidet sich nicht mit derartigen „vulgär-feministischen“ Feststellungen. Sie bezieht die psychologische Konstruktion Hysterie mit ein und stellt die Frage, was insbesondere die surrealistische Automatisierung des Körpers bedeutet und ob nicht zuletzt in der avancierten Kunst der sechziger und siebziger Jahre durch die Verdinglichung des Körpers im Wiener Aktionismus und in der Body- und Performance-Art die weiblich besetzte Hysterisierung auch den männlichen Körper erfasste.

Insbesondere an einer Stelle spitzt sich im Kunstbau das Programm der Ausstellung qua Anordnung der Exponate paradigmatisch zu: Douglas Gordon verdoppelt in seiner Vidoeinstallation „Hysterical“ ein historisches Filmdokument. Zum Zweck der Demonstration bemächtigen sich ein Arzt und ein Pfleger helfend, beschwichtigend, mit lasziv anmutenden patriarchalen Gesten eines weiblichen Körpers, der sich wie auf Befehl in einem Anfall aufbäumt. Das Gesicht der Frau ist maskiert. Die Kamera, für die hier die Demonstration erfolgt, thematisiert Maria Lassnig in einem Doppelselbstporträt. Sie malt sich auf einer Leinwand als Bild im Bild mit einer Kamera in der Hand und vor der Leinwand sitzend mit einer Art von Kamerakopf: Ihr Körper hat sich dem der Bildproduktion dienenden Instrument anverwandelt. Unweit von Lassnigs Bild schwebt an einem Draht aufgehängt eine glänzende Bronzeskulptur Louise Bourgeois´. Die Skulptur spannt sich zum klassischen Symptom, dem „Bogen der Hysterie“. Der kopflose Körper ist hier jedoch nicht weiblich, sondern männlich.

Durch das Nebeneinander dieser Exponate wird die Vermittlung zwischen (medialer) Technik und (hysterisiertem) Körper zwar nicht geleistet, doch klingen hier die Grundmotive der Ausstellung an, die sich auf verschiedenen Ebenen wiederholen. Im Kunstverein etwa sind in dem einen Stirnraum Rebecca Horns Automaten installiert und im anderen Dan Grahams komplexes Kameraspiel sich wechselseitig filmender Körper. Dazwischen werden im Hauptraum in Performance-Dokumenten und Fotografien von Bruce Nauman bis Valie Export die Verdinglichung des Körpers vorgeführt, die Transzendierung der Geschlechterrolle (Urs Lüthi, Jürgen Klauke, Zoe Leonard) und in den Fotomontagen von Martha Rosler die ziemlich didaktische Reflexion der Einschreibung des männlichen Blicks in den weiblichen Körper. Im Ausstellungsmarkt zeitgenössischer Kunst entwickelten die Fotografien Cindy Shermans in den letzten Jahren eine nahezu penetrante Omnipräsenz. In Shermans Übergang von den Filmstills zu den Bildimitationen und Körperfragmenten wird die Titelbehauptung der „verletzten Diva“ geradezu illustriert. Mit dem Blick auf die siebziger und neunziger Jahre setzt die Ausstellung im Taxispalais ihren Schwerpunkt auf Körperarbeiten von Künstlerinnen.

Am einsichtigsten wird der Rekurs auf die Hysterie, wenn sich die Ausstellung dem Surrealismus zuwendet und ihre Bedeutung als Ideal surrealistischer Poetik herausarbeitet. Der hysterische Anfall überwindet das Subjekt und bemächtigt sich seines Körpers. Dieser Vorgang nähert sich dem surrealistischen Ziel der Unterminierung des Bewusstseins im Verfahren der automatischen Schreibweise. Die gezielte Automatisierung wurde von den Surrealisten nicht nur als Verfahren praktiziert, sondern schlug sich auch in den Junggesellenmaschinen nieder sei es als fotografierte Puppe (Bellmer) oder gemalter, gezeichneter und collagierter Sexualapparatur (Duchamp, Picabia, Höch). Die Gleichsetzung zwischen dem surrealistischen Automatenkörper und dem Körper der Frau bedürfte allerdings weiterer Differenzierungen. Der männliche Blick neigt dazu, den weiblichen Körper zu verdinglichen. – Den besten Beleg hierfür liefert ein fotografisches Selbstporträt vom Frantisek Drtikol: sein suggestiver Männerblick richtet sich auf den Betrachter frontal hinweg über den nackten, wie im hysterischen Bogen gespannten Körper einer Frau. – Doch das Auftauchen der Sexualapparatur im dadaistisch-surrealistischen Zusammenhang kann auch in Bezug auf den männlichen Körper ironische Züge annehmen, wie denn überhaupt der technische Apparat von Fall zu Fall nicht nur als weibliche Stellvertretung, sondern auch als phallokratische Verlängerung des männlichen Körpers verstanden werden kann. Wenn das Prinzip der Hysterisierung als Erklärungsprinzip auf den Geschwindigkeitsraum der Futuristen angewandt wird, wird es verabsolutiert und überstrapaziert. Unabhängig davon: Die Ausstellung schärft den Blick für das, was nicht nur dem weiblichen Körper im Zeitalter der Totaltechnisierung und Mediatisierung geschieht.