Christian Huther
Dierk Schmidt
»SIEV-X – Zu einem Fall von verschärfter Flüchtlingspolitik oder Géricault und die Frage der Konstruktion von Geschichte«
Städel, Frankfurt/Main, 9.4. – 6.9.2009
Was dem gemeinen Flüchtling grimmig verwehrt bleibt, wird dem populären Fußballer lächelnd gewährt: Regeln zu verletzen und Grenzen zu überschreiten. Ein Fall für die Politik und nicht für die Kunst, so scheint es. Aber Dierk Schmidt belehrt uns eines Besseren. Der Künstler, Jahrgang 1965 und bereits auf der „documenta 12“ zu Gast, greift einen Fall aus dem Jahr 2001 auf, als vor der Küste Australiens ein Schiff mit 397 indonesischen Flüchtlingen sank; 353 starben, 44 überlebten. Der Bildtitel SIEV-X steht für „Suspected Illegal Entry Vessel“, also für ein illegal in die Hoheitsgewässer Australiens eingedrungenes Boot; der Zusatz „X“ bedeutet „unbekannt“. Vermutlich hatte Australien bei der Tragödie seine Hände im Spiel (etwa mit einem präparierten Boot?), um ein abschreckendes Exempel zu statuieren. Ein Regierungsmitglied gestand Schmidt in einem Telefonat ein, dass nach diesem Schiff so gut wie kein Flüchtlingsboot mehr kam. Seinerzeit befand sich der fünfte Kontinent im Wahlkampf, und das Thema illegale Einwanderung schlug hohe Wellen.
Schmidt bezieht sich in seinem zuerst begonnenen Triptychon auf Théodore Géricault, der einen ähnlichen Schiffsuntergang rund 200 Jahre vorher recherchiert hatte und im dramatisch aufwühlenden „Floß der Medusa“ (1819) gipfeln ließ, seinem berühmtestem Bild: 1816 war eine französische Fregatte vor der Küste Senegals leckgeschlagen. Der Kapitän, die Offiziere und der Gouverneur gingen in die Rettungsboote, aber niemand kümmerte sich um die 150 auf See verbliebenen Menschen, die sich zunächst auf ein…