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Magazin: Museen & Institutionen · S. 337 - 345
Magazin: Museen & Institutionen , 1986

Heinz Schütz
Ein Museum besonderer Art

Ein Paukenschlag der Moderne, ein Highlight ihrer Chronique scandaleuse: Duchamp schickt ein auf den Kopf gestelltes Pissoir als »Fountain« in eine Kunstausstellung. Nicht nur Duchamps Pissoir ist längst museumswürdig, inzwischen wurde einem vergleichbaren Gegenstand ein eigenes Museum gewidmet, das – eher kurios als skandalös – auf den ersten Blick wie das Plagiat eines Karl-Valentin-Scherzes erscheinen mag. Die Rede ist vom »Ersten Nachttopfmuseum der Welt«, dessen weit über Münchens Grenzen hinauswirkender Ruhm bereits ein japanisches Fernsehteam vor die Vitrinen lockte, in denen – ausgewählt aus einer Sammlung von über 5000 Töpfen – 600 Exponate auf den Besucher warten.

Da sich am Nachttopf im Laufe seiner zweitausendjährigen Geschichte immer wieder namhafte Porzellanmanufakturen zwischen China und Meißen versuchten, da der stilistische Wandel von Rokoko bis Art déco keineswegs spurlos am Topf vorübergegangen ist, könnten Porzellanliebhaber bei einem Museumsbesuch auf ihre Kosten kommen. Unter einer Voraussetzung allerdings: Sie zügeln ihre Fantasie und lassen sich den kulinarischen Genuß an der Schönheit des Exkrementgeschirres nicht durch Geruchsvisionen und anderweitige Trugbilder verderben.

Die damit verbundenen Ekelgefühle allerdings sind eine Erscheinung neuerer Zeit. Das Museum mit seinen Töpfen und Grafiken – sie illustrieren den Umgang mit den Töpfen – liefert Anschauungsmaterial für eine Entwicklung, die u.a. durch eine zunehmende Ausbreitung der Scham- und Ekelgrenze bestimmt ist. Norbert Elias’ Buch »Der Prozeß der Zivilisation« handelt davon. Im 16. Jahrhundert schreibt Erasmus von Rotterdam etwa noch in einem Anstandsbuch, daß es ungehörig sei, jemanden zu grüßen, der auf der Straße gerade sein Geschäft verrichte. Selbstverständlich war im…


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