Einen Kunstsinn suchen und finden
Wir könnten porös sein wie ein Schwamm
von Paolo Bianchi
Ein Kunstding ist eine besondere Ausdrucksform des Kreativen. Es prägt die sinnliche Erfahrungsfähigkeit von Menschen durch seine Intensität entscheidend mit. Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind, sondern so, wie wir zu sehen gelernt haben. Der Phänomenologe Otto Friedrich Bollnow schreibt 1988, also vor genau dreißig Jahren: „Wir leben in einer Welt, wie die Kunst uns sie zu sehen gelehrt hat.“ Und weiter: „Der Mensch wird erst im vollen Sinne Mensch, wenn er die ganze Breite der bisher verkümmerten Sinne zur Entfaltung gebracht hat.“1 Worte eines Plädoyers für eine Wahrnehmung mit allen Sinnen. Erfahrung und Anschauung begründen sich aus dem Zusammenspiel von äußeren und inneren Sinnen. Auf diese Weise kann ein Kunstsinn sich ausbilden, ein „Organ“ zur Aneignung ästhetischer Gefühle: „Gerade die interessanten sinnlichen Zwischen-Phänomene wie Rhythmus, Aroma, Atmosphäre, Aufmerksamkeit, Idiosynkrasie, Aura u. v. a. m. lassen sich ohne Rückbindung an die gesamte Sinnesphysiologie nicht deuten.“2 (Abb. 01) Ein Wahrnehmen und Erleben mit allen Sinnen eröffnet bedeutungsvolle Zugänge zur eigenen Person und zur Umwelt, zum Ich und Du. Es bildet eine natürliche Quelle für Lebenszufriedenheit, Gesundheit und Selbstbehauptung, aber auch für den Umgang mit Differenz, Krise und Konflikt. Es verhilft zu sinnstiftenden Antworten bei Fragen wie: Wer bin ich? Was kann ich? Wie fühle ich mich? Was bin ich wert? Wie nehme ich wahr?
Wer eine Ausstellung betritt, aktiviert sein ‚kuratorisches Ich’ in Bezug auf die präsentierten Kunstobjekte. Die…