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Relektüren · von Rainer Metzger · S. 330 - 331
Relektüren ,

Relektüren
Folge 50

Rainer Metzger

Vor einigen Wochen publizierte die „Süddeutsche Zeitung“ eine Beilage zu den Effekten, die Dating-Portale wie „Tinder“ auf das zwischenmenschliche Verhalten ausüben. Fazit: Noch nie war es so leicht wie heute, jemanden – zu was auch immer – zu treffen; noch nie war es schwerer, es zu mehr kommen zu lassen als zu solchen Treffen. Besonders häufen sich derlei Probleme bei der Speerspitze der Normativität, dem weißen, männlichen, provinziellen Hetero. Ein Psychologe kam diesbezüglich zu Wort, und das war in Erz gemeißelt: „Durchschnittlich gebildete, durchschnittlich aussehende Männer trifft das teilweise hart, sie werden zu Ladenhütern.“

Womöglich ist das Diktum aber so aktuell nicht. Der Verfasser dieser Relektüre kann sich jedenfalls gut erinnern, dass ihm diese Diagnose auch vor vierzig Jahren schon ziemlich zusetzte. In seiner weißen etc. Provinzialität kam er sich damals bereits sehr übrig geblieben vor. Gut, dass gerade ein Buch den Markt umtrieb, das Abhilfe versprach, ein Werk, das sich als deutlich mehr zu verstehen gab denn als banale Lebenshilfe, das philosophischer Traktat, politische Utopie, praktischer Ratgeber und theologisches Brevier in einem war. Das ein umfassendes Konzept mit auf den Ausweg gab, der einen endgültig vom Ladenhüterdasein emanzipieren würde. Erich Fromms „Die Kunst des Liebens“ gab es zwar schon seit 1956. Doch dank glücklicher Fügung gewann es seine Konjunktur just in dem Moment, in dem die Baby Boomer gerade von der Pubertät ins Leben wechselten. Es schien wie gemacht für die ebenso epochalen wie auch nur individualgeschichtlichen Nöte der bundesrepublikanisch Herangewachsenen. Kaum jemand aus meinem Milieu, der…

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