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Magazin · von Peter Funken · S. 425 - 425
Magazin , 2005

Peter Funken
Formvollendet Formlos

“Das Gewimmel der Reptilien im Untergrund der Sümpfe und Kerker, ihre merkwürdigen Verschlingungen, ihre Kämpfe, in denen sie beißen, würgen und Gift verspritzen, werden immer das genaue Abbild der menschlichen Existenz sein, die von oben nach unten mit Tod und Liebe durchzogen ist” – so endet der Eintrag von Michel Leiris zum Thema “Reptilien” im “Kritischen Wörterbuch”, einem festen Bestandteil der interdisziplinären und intermedialen Zeitschrift “Documents”, die 1929 bis 1931 in Paris erschien. Das Kritische Wörterbuch wurde fortlaufend auf den hinteren Seiten dieses “Magazine illustré” mit dem Untertitel “Doctrines, Archéologie, Beaux-Arts, Ethnographie” veröffentlicht. Im zweiten und letzten Jahrgang ersetzten die Herausgeber von “Documents” den Begriff “Doctrines” durch “Variétés” und tatsächlich sind die Einträge im Kritischen Wörterbuch extrem verschiedenartig, denn es gab in ihm mehr als 40 Einträge zu so unterschiedlichen Themen wie etwa Engel, Spucke, Unglück, Schlachthof, Nachtigal, Buster Keaton Strafarbeit oder Sonne. Als Autoren der Lemmata zeichnen Dichter, Ethnologen und Kunstwissenschaftler der Epoche, wie die “Documents”-Herausgeber Georges Bataille und Carl Einstein, Marcel Griaule, Robert Desnos oder Michel Leiris, der bei “Documents” zeitweise als Redaktionssekretär beteiligt war. Die in “Documents” versammelten Lexikonartikel sind nun von Rainer M. Kiesow und Henning Schmidgen übersetzt, herausgegeben und kommentiert worden, wobei den beiden eine außerordentliche Arbeit gelungen ist, denn das “Kritische Wörterbuch” ist nicht nur eine phantastische und unterhaltsame Lektüre, sondern legt auch eine Art von philologischem Link zu Perzeption und Methode einer Gruppe von Intellektuellen und Wissenschaftlern der Vorkriegszeit, die die Welt, in der sie lebten, als grausam, dumm…


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