59. Biennale Venedig: Gespräche
Francis Alÿs
Die Codes der Kinderspiele
Heinz-Norbert Jocks: Könntest Du deine Arbeit „The Nature of the Game“ einmal beschreiben?
Francis Alÿs: Es ist eine sehr einfache, geradlinige Erinnerung an Kinderspiele, die, meist im öffentlichen Raum gespielt, keine ausgefeilten Requisiten benötigen. Im Grunde sind es Dinge, die man direkt in der Umgebung des Spielortes finden kann. Die Filme sind Versuche, die Mikrogesellschaft der Kinder darzustellen und ihre Art und Weise, die Welt neu zu interpretieren und sich neu vorstellen. Es handelt sich hierbei auch um eine Art ethnologisches Dokumentationsprojekt, bei dem Spiele erfasst werden, von denen viele langsam verschwinden, nicht nur wegen der Autos und der Allgegenwart des Kommerzes, sondern auch wegen der Dominanz sozialer Medien und auch deshalb, weil Eltern ihre Kinder nicht mehr im öffentlichen Raum so spielen lassen, wie es zu meiner Zeit noch der Fall und üblich war. Ich meine, was ich hier präsentiere, ist im Wesentlichen eine Auswahl von aktuellen Spielen. Beinah alle wurden während der Pandemie gefilmt, also im Laufe der letzten zwei Jahre. Einige von ihnen stehen in direktem Zusammenhang mit der Pandemie, sie zeigen, wie Kinder auf die reale Welt durch Spielen reagieren, sie verspotten oder nachbilden, so beispielsweise in dem in Mexiko gefilmten Spiel „Contagio“.
Einige Spiele dienen mir eher als Vorwand, um eine Stadt während der Pandemie zu porträtieren, wie im Fall eines kleinen Mädchens in Hongkong. Das war kurz nach Ausbruch. Andere Spiele haben überhaupt nichts mit der Pandemie zu tun, es sind einfach nur Spiele, die…