Gefangene der Bewegung Globaler Süden
Mit seiner Ehrenrettung für die Outsider der Global Art läuft Adriano Pedrosa Gefahr, einen obsoleten Mythos zu rekonstruieren
von Ingo Arend
Wo liegt eigentlich der Globale Süden? Wer sich auf die Suche nach einem ubiquitären Diskurs-Phänomen begibt, macht die Entdeckung, dass diese Himmelsrichtung auf keiner Landkarte zu finden ist. Oft zitiert wird die imaginäre Linie vom Rio Grande über den Golf von Mexiko durch den Atlantischen Ozean, das Mittelmeer und durch Zentralasien bis zum Pazifischen Ozean. Die Globalisierung hat diese imaginäre Allianz längst in Kontrahenten verwandelt. Ökonomisch zählen die Türkei, Mexiko oder Australien, die darunter subsumiert werden, zum „Globalen Norden“. Auch Indien, das sich derzeit zur Stimme des Globalen Südens aufzuschwingen versucht, liegt auf der Nordhalbkugel. Zwei so unterschiedliche Diktaturen wie China und der Iran lassen sich nur schwer über diesen Begriffs-Leisten schlagen. Der von dem amerikanischen Autor und Aktivisten Carl Ogelsby zur Zeit des Vietnam-Krieges in Umlauf gebrachte Begriff ist zu einer wohlfeilen, aber unscharfen Abkürzung für eine Reihe von Nationen avanciert, die die ungerechte Struktur der derzeitigen Weltordnung überwinden wollen. Raphael Fonseca, Co-Kurator der brasilianischen Biennale Videobrasil, bringt diese romantisierende Geopolitik auf den Punkt, wenn er sie als „fiktive Idee von Gemeinschaft, Wissen und Schöpfern“ bezeichnet, „die im Kontrast zum hegemonialen Norden stehen kann“.
Von derlei Begriffs- und Lokalisierungsproblemen zeigt sich Adriano Pedrosa ungerührt. Für die 60. Ausgabe der Biennale von Venedig ruft der lateinamerikanische Kurator, derzeit Direktor des Museu de Arte de São Paulo (MASP), diese imaginäre Welt auf und wirft höchst unterschiedliche Geografien, Geschichten,…