Hamburg
Georges Braque
Tanz der Formen
Bucerius Kunst Forum 10.10.2020–24.01.2021
von Rainer Unruh
Im Oktober 1906 malt Georges Braque L’Estaque, als habe die Hitze der Mittelmeersonne das Fischerdorf in Brand gesetzt. Gleißend hell der Untergrund, rote Farbschlieren an den Hängen wie Lavaströme, leuchtende Glutnester in den Baumkronen. Man steht vor diesem Bild am Anfang der Ausstellung und staunt: Das soll derselbe Maler sein, der 1909 mit Picasso den kühl-analytischen Kubismus erfunden hat?
Das fauvistische Frühwerk ist nicht die einzige Überraschung der Retrospektive im Bucerius Kunst Forum. Mit rund 80 Arbeiten aus den Jahren 1906 bis 1963 zeichnet sie die Entwicklung eines Künstlers nach, der mit großer Beharrlichkeit und Eigenständigkeit Grundprobleme der Moderne malerisch erforscht hat. Erklärte Absicht der beiden Kuratorinnen Brigitte Leal (Centre Pompidou, Paris) und Kathrin Baumstark (Leiterin des Bucerius Kunst Forums, Hamburg) war es, Georges Braque aus dem Schatten seines Freundes Pablo Picasso zu rücken. Das ist dem Duo gelungen. Die erste umfassende Braque-Ausstellung in Deutschland seit 30 Jahren ist ein Fest fürs Auge. Und ein Anstoß fürs Denken, die Bilder neu zu entdecken, jenseits ausgetretener Pfade der Kunstgeschichte.
Nach dem Rausch der Farben verschiebt sich der Fokus von Georges Braque rasch auf die Formen. Cézanne dürfte dafür ein entscheidender Einfluss gewesen sein. Die Entwicklung kulminiert in den berühmten kubistischen Bildern, von denen zwei herausragende Beispiele, „Frau mit Gitarre“ (1913) und „Der Mann mit Gitarre“ (1914), in Hamburg nebeneinander hängen. Anders als der fiebrig-kreative Picasso, der ständig auf der Suche nach neuen Herausforderungen war, ging es Braque eher um das Ausloten von Positionen….