KLAUS NEUMANN-BRAUN, BIRGIT RICHARD & AXEL SCHMIDT
Gothics – die magische Verzauberung des Alltags
Menschliche Gesellschaften (re-)produzieren fortwährend Sinn, indem alltägliche Gegenstände und Handlungen in ein komplexes Netz aus funktionalen und semiotischen Bezügen eingestellt werden. Bemerkenswert scheinen homonymische Relationen: Warum gilt ,Hände waschen’ einmal als instrumentelle Handlung im Dienste der Hygiene und ein anderes Mal als ritueller Vollzug zum Zwecke der Katharsis? Wie ist es möglich und welchen Sinn hat es, dass Gegenstände wie Brot und Wein, den Körper und das Blut Jesu symbolisieren? Was hat es damit auf sich, dass geometrische Figuren (wie das Kreuz) das Numinose verkörpern? Ohne Genese und Semantik solcher Relationen en detail klären zu können, verweist ihr Vorhandensein zumindest auf eine hierarchische Struktur innerhalb sinnstrukturierter Welten: Neben instrumentellen und kommunikativen Gegenständen und Handlungen, die ihrer selbst willen vollzogen werden (etwa Holz hacken) oder zum Zwecke der Intersubjektivierung von Alltag (Kommunikation), vermögen magische und rituelle Gegenstände und Praktiken das Hier und Jetzt des Alltags zu transzendieren. Ihr Potenzial Alltäglichkeit in Außeralltäglichkeit zu überführen, soll im folgenden den Ansatzpunkt darstellen.
MAGIE & RELIGION
Seit je her streben Menschen danach, ihrem profanen Dasein einen höheren symbolischen Sinn zu verleihen und ihr Streben und Wollen auf moralische und überindividuelle Letztbegründungen zu stützen. Dies erfordert mehr oder weniger kollektive Muster der Welterklärung und -deutung, die grundsätzlich auf anti-rationalistische Vorstellungen rekurrieren. Solche universellen und zeitlosen Wertanschauungen stellen traditionellerweise religiöse und magische Systeme zur Verfügung. Nach Durkheim (1981) geht mit der Entstehung von Religion die grundsätzliche Unterscheidung von sakralen und profanen Dingen einher. Diese Differenz…