OTTO MUEHL
ICH VERSUCHE JETZT SCHON SO ZU LEBEN, WIE IN ZUKUNFT ALLE LEBEN WERDEN
EIN GESPRÄCH VON DIETER BUCHHART
Otto Muehl bezeichnete 1962/63 die Destruktion als “Geburtshelfer einer neuen Wirklichkeit”: “Verkehrsunfälle, Überschwemmungen, Erdbeben, Hauseinstürze, Bergrutsche, Feuersbrünste, Bombenwürfe, wirtschaftliche Zusammenbrüche, Unglücke jeder Art gewinnen durch die schöpferische Destruktion einen neuen hoffnungsvollen Aspekt.”1 Mit diesem Tabubruch provozierte Muehl nicht nur die bürgerliche Gesellschaft, sondern griff auch die durch 9/11 oder Lifebilder aus dem zweiten Irakkrieg viel diskutierte Ästhetik der Zerstörung und Gewalt und deren mögliches schöpferisches Potential auf.2 Muehl zählt neben Künstlern wie Hermann Nitsch, Günther Brus, Alfons Schilling und Rudolf Schwarzkogler zu den Hauptvertretern des Wiener Aktionismus, der als Protest gegen das bürgerliche Kunstempfinden vor der Folie starrer Gesellschaftsstrukturen eine radikale Vermischung von Kunst und Leben propagierte. Die Destruktion ist in den Werken Muehls eine zweifache. Einerseits die an den Materialien und Darstellern ablesbare tatsächliche oder inszenierte materielle Zerstörung und andererseits die angepeilte Zertrümmerung der bisherigen eindimensionalen Vorstellung des “Schöpferischen”. Der vermeintlichen Vernichtung des Tafelbildes, seinen Gerümpelskulpturen, Collagen und Aktionen der 1960er Jahre bis Anfang der 1970er Jahre setzte er mit der Gründung der Kommune am Friedrichshof die Utopie einer alternativen Lebensform entgegen. Der scheinbar idealistische Versuch mittels gestalterischer Kreativität, freier Sexualität, gemeinsamer Erziehung der Kinder und kollektivem Eigentum, die “Welt durch die Kunst zu verändern”, scheiterte. Anfang der 1990er Jahre wurde die Kommune aufgelöst und Muehl vom Landesgericht Eisenstadt (Burgenland) wegen strafbarer Handlungen gegen die Sittlichkeit und das Suchtgiftgesetz zu sieben Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Entlassung übersiedelte der Künstler…