Hans-Dieter Fronz
„In erster Linie…“
Kunsthalle Fridericianum, 10.10.2004 – 2.1.2005
Die wachsende Wertschätzung der Zeichnung in den vergangenen Jahren dürfte sich zum guten Teil ihrer Expansion auf andere Kunstgattungen verdanken. Schon die Renaissance des Mediums in den Sechziger- und Siebzigerjahren speiste sich aus ganz neuen Allianzen. Damals bereits hatte die Zeichnung Anschluss an Kunstformen wie Concept und Land Art, Aktions- und Videokunst oder Installation gefunden. Die Ausstellung „Gegen den Strich“ der Kunsthalle Baden-Baden maß diesen Sommer die ganze Bandbreite medialer und materialer Mischformen aus, deren sich die Zeichner seither und verstärkt in letzter Zeit bedienen. – Aber sind das dann eigentlich noch Zeichnungen? Oder handelt es sich nicht vielmehr bereits um Installation, Skulptur oder Medienkunst? Unumstritten ist bloß die Eignung der Zeichnung für Kreuzungen und Hybridformen der angedeuteten Art, ihre Beweglichkeit und Versatilität.
Das neue Selbstbewusstsein der Gattung, die über lange kunstgeschichtliche Zeiträume eine mehr dienende Funktion erfüllte, dokumentierte auch die Ausstellung „In erster Linie…“ der Kunsthalle Fridericianum in Kassel. Arbeiten von 21 Künstlerinnen versammelte sie zu einem internationalen Panorama der zeitgenössischen Zeichnung. Die Geschlechtszugehörigkeit mutete als Auswahlkriterium zwar etwas willkürlich an, zumal die vermeintliche Affinität von Frauen zu dem Medium in der Gegenwart lediglich behauptet, nicht begründet wurde. Immerhin bestätigte auch der Blick auf feminine Zeichenkunst den aktuellen Trend zum Crossover der Gattung mit anderen Medien – wiewohl die Ausstellung in Kassel herkömmlich-„reine“ Spielarten deutlich stärker akzentuierte als die Baden-Badener Schau.
Der zweite zentrale Befund ist die Wiederkehr narrativer Formen. So haben Jenny Scobels mehrfach medial gebrochene, mit Graphit und Öl- oder Aquarellfarbe…