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Titel: Lebenskunstwerke · von Marion Löhndorf · S. 192 - 201
Titel: Lebenskunstwerke , 1998

CHRISTOPH SCHLINGENSIEF
Lieblingsziel Totalirritation

VON MARION LÖHNDORF

Als Christoph Schlingensief mit Anfang 20 mit ersten größeren Filmen an die Öffentlichkeit trat, galt er als schlimmer Junge: hysterisch und pubertär. Daran hat sich nichts geändert, seitdem er auch fürs Theater arbeitet, im Gegenteil. Die Presse widmet ihm dieselben Schimpfvokabeln, noch mehr Widerstand, damit aber auch: mehr Reklame.

Heute hat er das Etikett Enfant terrible gründlich satt, wittert dahinter den Mangel an Bereitschaft, sich mit auf Anhieb nicht Verständlichem auseinanderzusetzen. Dabei gibt er gern Auskunft über seine Arbeit, präsentiert sich selbst aufs entspannt Angenehmste – weder von Hochmut, noch von Schüchternheit angekränkelt. Schlingensief ist ein glänzender Botschafter seiner selbst. Auch noch eine halbe Stunde, bevor er selbst in der Berliner Volksbühne auftritt, in der Garderobe zwischen Lautsprecherdurchsagen und Kollegen, die kommen und gehen und Fragen stellen.

Der Mann, der die Kritik das Fürchten lehrt, sieht aus, wie in jedem Artikel über ihn zu lesen: unauffällig. 37 Jahre alt, Apothekersohn aus Oberhausen, katholisch, extrem kleinbürgerliches Elternhaus, wie er sagt. Ein deutsches Kettensägenmassaker hat er auf die Leinwand gebracht, Ekelorgien inszeniert, dem Neonazi Michael Kühnen einen Theaterabend gewidmet. Schlingensief schimpft über das Staunen, das seine freundliche Erscheinung dauernd hervorruft: “Meine Filme sind für die Leute von einem durchgeknallten Möchtegern-Perversling gemacht. Und wenn ich dann auftauche, traut man dem Braten nicht. Wenn ich mich dann auch noch mitteilen und sogar argumentieren kann, sind sie völlig verwirrt.”

Ästhetik des Verlusts

Scheinbar offen legt er in Interviews seine Karten auf den Tisch. In Wirklichkeit hat er immer noch welche im Ärmel. Auch in…


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von Marion Löhndorf

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