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Titel: Paradoxien künstlerischer Praxis · S. 60 - 113
Titel: Paradoxien künstlerischer Praxis , 1984

Michael Lingner/Rainer Walther
Paradoxien künstlerischer Praxis

Die Aufhebung der Autonomie des Ästhetischen durch die Finalisierung der Kunst

“Man muß den Begriff künstlerische Tätigkeit als eine konterrevolutionäre Auffassung des Schöpferischen ausmerzen.”
El Lissitzky

Einleitung

Die ‘Erweiterung des Kunstbegriffs’, die sich Ende der sechziger Jahre aus der Prohlematisierung des Verhältnisses von Kunst und Gesellschaft entwickelt hat, ist in den beiden Gleichungen ‘Kunst ist Leben’ und ‘Jeder Mensch ist ein Künstler’ inzwischen zum schlichten Schlagwort oder zur unverbindlichen Glaubensformel verkommen. Zwar haben auch heute die dahinter verborgenen einstigen Leitideen einer veränderten Kunstpraxis nicht an Faszination, geschweige denn ihre Berechtigung verloren. Doch erscheint jetzt die Möglichkeit ihrer Erfüllung sehr viel zweifelhafter, da rückblickend konstatiert werden muß, daß trotz vieler Versuche ,,der Graben zwischen Künstler und Publikum … unüberbrückbar”1 geblieben ist.(38)

Dennoch – die auf eine künstlerische Konkretisierung dieser Ideale gerichteten Erwartungen und Anstrengungen haben sich zu Unrecht und viel zu rasch entmutigen lassen. Denn nach wie vor fehlt es an einer wirklichen Durchdringung der Konsequenzen, die eine künftige Kunstpraxis aus solchen künstlerisch wie gesellschaftlich reformatorischen Gleichheitsansprüchen zu ziehen hätte. Durch feuilletonistisches Räsonnieren über das “Ende der Avantgarde”2 oder durch notorisches Mißtrauen gegen die traditionellen Kunstinstitutionen läßt sich dieser Mangel an gründlicher und rationaler Reflexion nicht kompensieren.(39) Und erst recht wäre es eine Täuschung, die Kunst zur Szene erkünstelter Irrationalität (asylum ignorantiae) zu stilisieren und zu suggerieren, daß ihr am besten mit einer “Theorie der Nichttheorie”3 geholfen sei, die – wie die ‘wild’ denkenden Propheten der “Neuen” glauben machen möchten – das Problem der Einheit von Kunst und Leben ‘schon…


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