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Magazin · von Rainer Metzger · S. 422 - 423
Magazin , 2005

Rainer Metzger
Folge 17

Heute noch frappiert es zu sehen, wie sich die jungen Maler den alten Meister einverleibten. Es ist nicht ein Bild, das die Nazarener kopierten, als sie sich Raffael vornahmen, sondern es ist die Gestalt selbst und vor allem die Vorstellung, die sie sich von ihm machten. Es ist die kanonische Größe und damit das historische Konstrukt. Es ist die paradoxe Verbindung von zeitloser Gültigkeit mit dem eifrigen Bemühen um Aktualität. Johann Friedrich Overbeck, der absichtlichste in der undurchdringlichen Absichtlichkeit der Nazarener, hat sich Raffael, man möchte sagen, reingezogen. Und heraus kamen Arbeiten, die nicht aussehen wie ein bestimmtes Gemälde von Raffael, sondern wie alle Werke des Vorbildes und Vorbildners zusammen – zumindest wie die Frühwerke Raffaels, denn nur der interessierte die Nazarener (der späte Raffael war der Heros der Konkurrenz, der Klassizisten).

Nur der frühe Raffael interessierte die Nazarener, denn hier sind die Schönlinigkeit und die Festigkeit der Kontur ganz bei sich. Um Schönlinigkeit und Festigkeit der Kontur war es den Nazarenern zu tun, doch nicht, um sie als spezielle Charakteristika einer künstlerischen Eigenart zu schätzen, sondern um sie als Ausweis eines eben solchen Daseins zu nehmen, als Ausweis eines Daseins in Reinheit und Frömmigkeit. Dass der große Meister an der Syphilis starb, hat in einer solchen Perspektivierung artistischer Hinterlassenschaft auf einen Lebensentwurf hin natürlich keinen Platz. Was bei Raffael zu den Konventionen und Kontingenzen einer historischen Lebenssituation gehört haben mag, verstehen die Nazarener als Unverbrüchlichkeit, als genuine Signatur eines genuinen Künstlers. Die Zufälligkeiten und Bedachtheiten einer Arbeitsweise…


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