Lynn Hershman
Romantisierung des Antikörpers
Gier und Begehren im (Cyber)space
Im Verlauf der Geschichte gab es zahlreiche Bewegungen, die die Grenzen zwischen Kunst und Leben auflösen wollten. Viele Künstler, die sehr unterschiedlich und durch Kultur, Geschlecht und Generation voneinander getrennt waren und die von Majakowski über Duchamp bis Sherman reichen, haben versucht, Wirklichkeit wieder authentisch zu machen. Ihre Ergebnisse aber führten tatsächlich dazu, die Illusion auf den noch dünneren Schleier einer rätselhaften Unsichtbarkeit zu reduzieren.
Vor diesem Jahrzehnt gab es kein verfügbares Medium, das Ideen über die “Grenze des Lebens” so wirksam und schnell wie Cyberspace vermitteln konnte. Auflösungen von Raum und Zeit in der computervermittelten Kommunikation, von Howard Rheingold CMC (Computer Mediated Communications) genannt, überschreiten nicht nur soziale Grenzen, sondern verändern die Identität selbst unwiderruflich.
Eine Vorbedingung für den Eintritt in die elektronische Welt ist die Absicht, jemand anders oder sogar mehrere unterschiedliche Personen zu sein. Dafür gibt es viele Gründe. In seinem Buch “Virtuelle Gemeinschaften”1 stellt Howard Rheingold fest, daß Menschen offenbar das Spiel mit depersonalisierten Formen der Kommunikation benötigen, um mit jemand anderem in eine persönliche Beziehung zu treten. Das ist eine Weise, um sich miteinander zu verbinden. Man muß sich eine persönliche Maske schaffen, um wirklich an den Cyberspace angeschlossen zu sein oder in ihm Wurzeln zu schlagen. Sie wird eine Signatur, ein Fingerabdruck, ein Schatten, ein Mittel, um wiedererkannt zu werden. Die Rechtfertigung dafür ist ähnlich derjenigen, die man gebraucht, um zu beschreiben, warum bei “primitiven” Stämmen Verkleidungen üblich sind. Masken tarnen den Körper und setzen so ein virtuelles…