Reinhard Ermen
Roni Horn
Die Farbsegmente wirken wie gesprengt und werden doch von einer unbekannten Kraft in einem formalen Zusammenhang gehalten. Zu sehen sind ornamentale Montagen, die Spuren des Dissoziationsprozesses werden nicht verleugnet, die Schnitte bilden eine konstituierende Architektur, ein Raster konstruktiver Linien, das sich nicht aufdrängt, aber unerbittlich erscheint durch seine Konkretion. Man könnte sich an Luftaufnahmen erinnert fühlen, an den Blick aus mittelgroßer Höhe auf die Gemarkungen einer gewachsenen und gebauten Kulturlandschaft. Seit Anfang der 80er Jahre macht Roni Horn diese Zeichnungen, deren Erscheinungsbild sich seitdem stetig verändert hat, das Prinzip der produktiven Deplatzierung durch den Schnitt ist geblieben. Geblieben ist auch (Ausnahmen bestätigen die Regel) das primär einfarbige Erscheinungsbild im Weiß des kräftigen Papiers, das auch durch die Spuren der Arbeit gekennzeichnet ist. Die Schritte auf dem Weg zu diesen meist großflächigen Blättern liegen offen zutage. Es ist sogar möglich, die ursprüngliche Lineatur aus fixiertem Pigmentpulver zu rekonstruieren. Tobias Burg hat das im Katalog zu seiner Ausstellung „Zeichnung als Prozess“ 2008 in Essens Museum Folkwang exemplifiziert. Dabei helfen zuweilen Hinweise von Horn auf den Zeichnungen selber, den Rest machen das Kombinationsvermögen und ein gutes Auge. Verblüffend an dieser praktischen Recherche ist die Tatsache, dass die ursprünglichen Linien, durchaus im Sinne einer leitenden Vorgabe Nähe zur späteren Montage signalisieren, aber wie Rohlinge erscheinen, die durch den folgenden Prozess ein geschärftes, ein endgültiges Profil erhalten. Der erste Zustand wird durch die partielle Zerstörung, oder, um es mit einer aktuellen Vokabel zu sagen: durch die Dekonstruktion im wahrsten Sinne des Wortes…