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Titel: Bild und Seele · S. 202 - 205
Titel: Bild und Seele , 1989

Paolo Bianchi/Jacques Flach
“Sie ist die Welt und die Erschafferin dieser Welt”

ÜBER ALOÏSE CORBAZ

Für Jean Dubuffet verkörpern Person und Werk von Aloïse Corbaz (1886-1964) den weiblichen Gegenpol zu Adolf Wölfli. Bei Aloïse kreist das ganze bildnerische Werk um ein sehr menschliches Problem, nämlich um den Eros. Unfähig zu Partnerschaft und Liebe, begann sie, in ihrer Malerei diese Unfähigkeit zu thematisieren. Sie zeichnete Sirenen und Sphinxe, Damen ohne Unterleib und Zwitterwesen, die Aloïse ironisch als die “alten Fräuleins, die weder ja noch nein zu sagen wagen” beschrieb. In ihrer imaginären Privat- und Phantasiewelt schuf sie sich einen Kosmos an Zeichen, den sie – oft mit Zahnpasta, Saft von Geranienblüten und Schokoladepapier gemalt und collagiert – auf Abfallpapier bannte.

Aloïse wurde im Jahre 1886 in Lausanne geboren. “Mütterlicherseits war sie erblich belastet: Eine Tante und ein Vetter waren wegen Schizophrenie in psychiatrischen Spitälern untergebracht”, heißt es bei Alfred Bader im Buch “Zwischen Wahn und Wirklichkeit”. Ihr trunksüchtiger Vater war Postangestellter, der im Ruf eines groben und rohen Menschen stand. Die Mutter war herzkrank und starb, als Aloïse 12 Jahre alt war. Nach dem Abitur fuhr sie nach Leipzig, um eine Lehrstelle anzutreten. Sie verließ aber Leipzig, um nach Berlin und dann nach Potsdam zu gehen. Dort lernte sie den Hofprediger des Kaisers Wilhelm II. kennen, der die 25jährige als Kindermädchen für seine drei Töchter im Schloß Sanssouci engagierte. Sie lebte nun in einer Atmosphäre puritanischer Strenge und zugleich imperialer Grandeur. Aloïse hatte eine sehr schöne Stimme und sang für Kaiser Wilhelm II., der…


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