Terror und Blasphemie
von Hans Ulrich Reck
Zumindest in Gegenden wie der unseren scheinen die Zeiten vorbei, in denen eine radikale Selbstmobilisierung der Künste sich auf die Zertrümmerung alles Bisherigen, die radikale Umwertung der etablierten Werte, die Zerstörung der Zivilisation, die Entfesselung der obsessiven Energien zum Zwecke einer Verwirklichung von Utopien versteifte. Dass die Künste Residuen militanter Energien sind und diese für exzessive Inszenierungen zur Verfügung stellen, ist uns inzwischen in erfreulicher Weise fern. Erinnern wir uns nur an den Expressionismus rund um den ersten Weltkrieg. Er träumte von einem schwindelerregenden Erleben eines alles zerstörenden Gesamtkunstwerks. Ja, es sollte darin gar eine totale, allerletzte Symphonie mit Steigerung hin zum ultimativem Ende alles Irdischen und Menschlichen freigesetzt werden. Kunst sollte ästhetisches Erleben durch Feier des Weltuntergangs bewirken, pries also die Apokalypse und ihre endlich wahr gewordene Erfüllung. Spätestens nach 1945, aber schon mit den Konstruktivismen der 1920er Jahre (de Stijl, Bauhaus, russischer Konstruktivismus) zielte radikal neue Kunst jedoch auf eine stetig gesteigerte immanente Reflektion der künstlerischen Prozesse, ihres Ausdrucksmaterials, der verwendeten Codes und Zeichen. Sie richtete sich auf eine formbildende, nicht mehr auf eine Welten zerstörende Auffassung vom schöpferischen Tun des künstlerischen Subjektes.
Selbstreflexiv gewordene Künste
Spätestens seit dem ‚abstrakten Expressionismus‘ und der US-amerikanischen Pop Art gilt: Keine Aussage, die nicht Reflektion über das Zustandekommen dessen wäre, was ‚Aussagen‘ im System der bildnerischen Zeichen überhaupt sein und bedeuten können. Kein Kunstwerk, das nicht Auskunft zu geben vermöchte über die Prinzipien und Spezifika seines Gewordenseins. Keine selbstreferentielle Thematisierung ohne deutlich zeigendes Ins-Werk-Setzen einer dafür…