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Titel: 52. Biennale Venedig · von Michael Hübl · S. 42 - 51
Titel: 52. Biennale Venedig , 2007

Michael Hübl
Über dem Abgrund lauert die Harmonie

Anmerkungen zur 52. Biennale di Venezia

Erwartungsfroh, erleichtert, euphorisch und zielgenau steuerte Europa im Sommer 1914 auf die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts zu. Als die amerikanische Künstlerin Jenny Holzer rund sieben Jahrzehnte später den Satz „the beginning of the war will be secret“1 in ihr Repertoire verstörender Formulierungen aufnahm, hätte sie ihn nicht auf diesen historischen Kriegsbeginn anwenden können, der die hochindustrialisierten Feudalstaaten durchaus nicht als Überraschung traf. Weite Kreise, darunter avantgardistische Künstler und progressive Intellektuelle, hatten den Waffengang herbeigesehnt, und als es mit dem Attentat auf den habsburgischen Thronfolger Franz Ferdinand – fast muss man sagen: endlich – so weit war, setzten die Militärs auf allen Seiten eine Präzisionsmaschinerie in Gang, die auch die letzten Zweifel an einem gewaltsamen Ausbruch dieses offenbar schon lange aufgestauten Konflikts beseitigte.

Alle haben es gewusst, alle waren sich einig – die große Mehrheit ebenso wie die relativ kleine Gruppe der Literaten, Maler, kritischen Gegenwartsanalytiker. Ein ähnlicher Zustand scheint jetzt wieder zu herrschen, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen. Die Welt will ihren absoluten Scheinfrieden mit sich machen. Es soll offenbar der Eindruck etabliert werden, dass die Globalisierung mit ihren Belastungen für Millionen von Menschen und ihrem Raubbau an den natürlichen Ressourcen der Erde in guten, geregelten Bahnen verläuft. Anhaltender Krieg im Nahen und Mittleren Osten, die fortgesetzte Zerstörung von sozialen und ökologischen Lebensräumen, Massenelend, Migrationstragödien – alles halb so wild. Packen wir. Der polnische Eisenbahner Jan Grzebski, der 1988 ins Koma gefallen war und nach 19 Jahren…


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