Rainer Unruh
Übermalt. Verwischt. Ausgelöscht.
»Das Porträt im 20. Jahrhundert«
Hamburger Kunsthalle, Galerie der Gegenwart, 6.2. – 28.8.2011
Ist das überhaupt ein Gesicht, sind die dunklen Kreise Augen, und was ist die horizontal verlaufend Einkerbung in Höhe der mutmaßlichen Stirn: eine Dornenkrone? Der Blick schweift umher, sucht nach Ankerpunkten im Bild, und findet doch keine Gewissheit. Die Komposition von Wols aus dem Jahr 1947 wirft mehr Fragen auf, als sie Antworten gibt. Es gehört Mut dazu, eine Ausstellung über das Porträt im 20. Jahrhundert mit einem Bild zu beginnen, von dem man mit letzter Sicherheit gar nicht weiß, ob es überhaupt ein Porträt ist. Die junge Kuratorin Henrike Mund ist das Risiko eingegangen, den Besucher zu verstören, und wer gewillt ist, sich diese Erfahrung produktiv anzueignen, erlebt die Begegnung mit einer souveränen Auswahl von Arbeiten, die für sich genommen nicht alle Meisterwerke sind, aber dafür die These „Übermalt. Verwischt. Ausgelöscht“ in instruktiven Varianten vor Augen führen.
Die Ausstellung deckt den Zeitraum der Nachkriegszeit bis zum Jahr 2000 ab, ist aber nicht chronologisch geordnet, sondern spürt eher Ähnlichkeiten und Analogien auf der strukturellen Ebene nach. Eine Arbeit von Giacometti stellt die Frage nach der Darstellung der Person im Raum, ein Bild von Francis Bacon die nach dem Verhältnis von physischer Präsenz und Malerei unter den Bedingungen der Spätmoderne. Im Fokus stehen, anders als in der Moderne, etwa bei Cézanne oder Beckmann, nicht Befragungen des Ichs aus einer existentiellen Perspektive, sondern Probleme des Stils und der Form. Cy Twombly zeigt in seinem wunderbaren Bild „Der…