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Titel: Fiktion der Kunst der Fiktion · von Ute Vorkoeper · S. 70 - 91
Titel: Fiktion der Kunst der Fiktion , 2010

Ute Vorkoeper
Unauffällige Fiktionen. Von Foto- zu Video-Texten

Die geteilte Aufnahme

Der Mann fällt nicht weiter auf. Im grauen Anzug geht er ohne Zögern die Straße entlang, schaut sich ziellos zielstrebig um. Dann wartet er. Die Bilder sagen nichts darüber, worauf er wartet und warum. Didier Bay hat ihn vom vierten Stock aus seiner Wohnung heraus beobachtet. Irgendwann Anfang der 1970er Jahre. Vier neben- und untereinander geordnete Fotos des Mannes werden zu Belegen einer verborgenen Iden tität, für die der Künstler in wochenlanger Beobachtung Indizien fand, die er mit vagen Vermutungen und disparaten Verdachtsmomenten verknüpfte. Hinter dem sympathischen Gesicht verbirgt sich, behauptet der Text neben den Bildern, ein inspecteur en civil. Dabei ist alles, was der Künstler zu sehen bekam, dass der Mann morgens zur Arbeit ging und abends nach Hause kam. Dass er seiner Frau am Fenster zunickte, dann und wann in ein wartendes Autor stieg und auf der Straße ein Couvert entgegen nahm. So steht es im Text.

Bays Fiktion ist die Fiktion des wissenden und erkennenden Beobachters. Der Blickwinkel, den er auf das Geschehen wirft, wiederholt die Metaperspektive des Observators, desjenigen, der den (gesellschaftlichen, staatlichen) Auftrag hat, zu beobachten. Die Fotografien von oben sprechen als scheinbare Dokumente der Observation für sich. Und gewissermaßen als Verdoppelung des Settings beobachtete Bay zuerst den getarnten staatlichen Beobachter. Doch auch die anderen von ihm in der Serie “Gens de mon Quartier”1 aufgenommenen und später beschriebenen Passanten erscheinen verdächtig oder mindestens bedeutend. Das alltägliche Verhalten der Nachbarn auf der Straße bekommt in den Aufnahmen den…


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