Fragen zur Zeit
Und er sah ein Schwert
Michael Hübl
Karl May und Franz Kafka: Zwei unbewusste Propheten? Anmerkungen zum US- Präsidentschaftswahlkampf und zum Neo-Feudalismus
Schräger Gedanke: Franz Kafka und Karl May könnten etwas gemein haben. Dort der skrupulöse Doktor der Jurisprudenz, angeödet von seinem Brot beruf als Konzipist, Vizesekretär, Sekretär und zuletzt Obersekretär einer Versicherungsgesellschaft, der sich ungeachtet seiner kränklichen Konstitution ein literarisches Werk abringt, von dem er neben einer Erzählung nur fünf Bücher gelten lassen will und das gleichwohl zu einem Meilenstein der Moderne werden sollte. Hier der Lehramtsanwärter, dem wegen seiner kleinkriminellen Gaunereien die Berufsausübung untersagt wird, der mehrere Haftstrafen verbüßen muss und erst jenseits des 30. Geburtstags konsequent belletristisch zu arbeiten beginnt, dann aber zum erfolgreichen Großschriftsteller und Autor massenkompatibler Abenteuerromane avanciert. Trotz aller Unvereinbarkeiten: Eine Überschneidung zwischen Kafka und May gibt es denn doch. Beide schrieben über ein Land, das der eine (Kafka) nie, der andere (May) erst 1908, vier Jahre vor seinem Tod, kennenlernen sollte: Amerika.
In dem gleichnamigen Romanfragment von Franz Kafka springt die mangelnde Bekanntschaft mit der Realität bereits nach wenigen Zeilen ins Auge. Karl Roßmann, der Protagonist der Erzählhandlung, nimmt an Bord des Schiffes, das ihn von Europa in die USA bringt, die Monumentalstatue auf Liberty-Island wahr. O-Ton Kafka, erster Absatz, letzter Satz: „Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor, und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte.“1
Das stimmungsvolle, „wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht“2 gleißende Bild ist ein Fake. Frédéric-Auguste Bartholdi hat seine für Amerika bestimmte Großplastik zwar in höchst…