Antisemitismus-Streit: „Kulturelle Missverständnisse“ und Popfestival-Boykott

29. August 2022 · Kulturpolitik

Reza Afisina und Farid Rakun vom kuratorischen Team der d 15 ruangrupa gaben dem Berliner „Tagesspiegel“ ein Interview, in dem sie einräumen, sie hätten die Bedeutung der documenta für die deutsche Öffentlichkeit unterschätzt: „Die documenta ist… fast eine Staatsangelegenheit. Diese Größenordnung hätte uns früher klar sein müssen“. So konnten sie sich auch nicht vorstellen, dass die Antisemitismus-Vorwürfe „so eskalieren“ würden: „Daraus haben wir gelernt, dass wir besser erklären müssen, was wir machen.“ Allerdings muss sich das kuratorische Team weiterhin Vorwürfe gefallen lassen, z.B. eine Zusammenarbeit mit Beraterinnen und Beratern zu verweigern: „Offenheit wird von anderen gefordert, sich selber aber sehen die Ausstellungsmacher außerhalb jeder Kritik. Das behauptet, der eigene Kontext sei wichtiger und richtiger und sogar wahrer. Und begegnet der Ausgrenzungslogik des Kolonialismus mit einem sehr verwandten Verhaltensmuster“, schreibt Martin Zeyn in der BR-KulturBühne. ruangrupa hingegen spricht im „Tagesspiegel“-Interview von „kulturellen Missverständnissen“: „Hier hört keiner richtig hin, obwohl es uns gerade um den Dialog geht… Es gibt gar nicht den Wunsch, einander zu verstehen.“ Tatsächlich bescheinigt Eyal Weizman in einem Essay in der „Berliner Zeitung“ den Kontrahenten des seit nunmehr fast neun Monaten andauernden Streits um die d 15: „Jede Möglichkeit der Differenzierung ging verloren… Es wurde der Eindruck erweckt, die Documenta 15 sei vorsätzlich antisemitisch.“ Im Zentrum der Debatte steht nach wie vor die Gretchen-Frage, wie die an der d 15 Beteiligten es mit der anti-israelischen Boykottbewegung BDS halten. Soeben folgten nämlich auf dem Berliner Pop-Kultur-Festival vier Bands deren Boykottaufrufen und zogen ihre Teilnahme zurück, weil die israelische Botschaft den Auftritt einer israelischen Band mit 5.000 Euro bezuschusst hatte. Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter des Bundes, erklärte dazu: „Kunst und insbesondere Musik erreicht die Menschen in ganz besonderer Art und Weise…Gerade die verstörenden Vorgänge auf der ›documenta fifteen‹ haben unlängst gezeigt, wie wichtig ein sensibler Umgang mit Antisemitismus und der deutschen Geschichte in Kunst und Kultur ist.“ Während ruangrupa-Mitglied Farin Rakun die Ansicht vertritt, zwar „kein Fan“ der BDS-Strategie zu sein, aber zu verstehen, „dass BDS eine mögliche Methode ist, friedlich, aber hörbar zu protestieren“, findet der Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) klare Worte: „BDS operiert mit Boykottaufrufen und starker Beeinflussung von Künstlerinnen und Künstlern, verbreitet Unwahrheiten und schlicht Hass“. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) ergänzte, einen autoritären Druck der BDS-Bewegung, der sich „gegen alle“ richtet“, „die ihre Ansichten nicht teilen, werden wir nicht tolerieren.“

Dazu in Band 279 erschienen:


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