Köln: Streit um "kultursensibles Klo"

11. August 2017 · Kulturpolitik

Hängt das religiöse Empfinden vom Toilettengang ab? Darüber tobte in Köln unlängst ein sanitärkultureller Richtungsstreit, seit Konrad Müller, Vorstandsvorsitzender des lokalen Bürgerzentrums Alte Feuerwache, zusammen mit seinen Vorstandskollegen den Einbau einer „kultursensiblen“ Toilette für Muslime durchsetzte: ein Stehklo, wie man es früher aus Frankreich kannte. In Frankreich sind diese Stehklos mittlerweile freilich überall verschwunden, und dies aus gutem Grund, weil sie nämlich viel zu unbequem sind. Aus den 1970er Jahren habe ich diese Toiletten aus Frankreich und anderen südlichen Ländern als zumeist verdreckt und überschwemmt in Erinnerung: das bräunliche Wasser stand in der flachen Schüssel meistens 1-2 cm hoch auf dem Boden, man konnte mithin dieses Klo nur mit festem Schuhwerk betreten. Seine Notdurft in der Hocke zu verrichten, und dabei die heruntergelassene Kleidung nicht zu beschmutzen oder in dem überschwemmten Toilettenboden durch zu feuchten, erforderte schon einiges an akrobatischem Geschick. Alles in allem ist letztlich die europäische Kloschüssel als zivilisatorischer Fortschritt zu bejubeln. Lediglich die „taz-tageszeitung“ kommentierte den Kölner „Kampf der Kackkulturen“ (O-Ton “taz”) mit einer „Liebeserklärung“ an das „Hock-Klo“. Immerhin gilt der mitteleuropäische Sitzpinkler inzwischen ja auch in den Kreisen von Hardcore-Feministinnen als vorzeigbar in Sachen hygienefördernder Emanzipation und anti-patriarchalischer Domestizierung. Konrad Müllers “kultursensible Toilette” findet in Köln selbst eine grüne Lokalpolitikerin reichlich „anmaßend“. In der Tat scheint sich Müller für einen Experten in Sachen sakraler Sanitär-Kultur zu halten, denn er bestand zudem auf einer strikten Nord-Süd-Ausrichtung des neuen Klos und belehrte allen Ernstes den Reporter des Boulevardblattes „Express“: „Nach Mekka kacken geht gar nicht“. Das ist allerdings reichlich überzogen, denn in der zweiten Sure des Koran ist lediglich beim Gebet eine Ausrichtung nach Mekka vorgeschrieben; auch beim Schlachten von Tieren weist deren Kopf nach Mekka, und bei Begräbnissen von Muslimen wird der Leichnam auf der rechten Seite liegend mit dem Gesicht gen Mekka bestattet. Für alle anderen profanen Verrichtungen dürfte auch der kulturbeflissen eifernde Bürgerzentrums-Vorstand keine Handlungsanleitung im Koran finden. Der Streit entzündete sich allerdings an der grundsätzlichen Frage, wie viel an kultureller Bringschuld die Einheimischen gegenüber den Zugezogenen eigentlich abzuliefern hätten, und man ahnt: ein Großteil der kulturellen Konflikte, die wir derzeit bisweilen in unserer Gesellschaft auszutragen haben, resultiert gar nicht aus einem mangelnden Anpassungswillen der Zugereisten, sondern aus den Ressentiments der Alteingesessenen am rechten, bisweilen aber auch am linken Rand des politischen Spektrums. So bietet der Bürgerzentrums-Vorstand ein Beispiel, wie eine an sich lobenswerte Offenheit gegenüber anderen Kulturen ungewollt den Eindruck irrlichternder kultureller Überheblichkeit erwecken kann, weil Müller sich anmaßt zu entscheiden, auf welchen Toiletten sich Muslime am wohlsten fühlen. In Kürze wird im Stadtteil Köln-Ehrenfeld die neue Moschee offiziell eingeweiht. Hock-Klo-Fans wie Stehklo-Gegnern ist anzuraten, zur Beilegung ihres Streits dort am Tag der Offenen Tür einmal die Toilettenanlage zu besichtigen. Der inzwischen vom Erbauer zum Berater degradierte Architekt Paul Böhm mokierte sich jedenfalls schon 2014 darüber, dass in dieser Moschee gegen seinen Willen „vor den Toiletten billige Resopalwände eingezogen werden“.


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