Odunpazarı-Museum für zeitgenössische Kunst: Kunstlicht im „Venedig der Türkei“

14. September 2019 · Museen & Institutionen

In der nordwestanatolischen Universitätsstadt Eskişehir eröffnete Staatspräsident Erdoğan das neue Odunpazarı-Museum für zeitgenössische Kunst.

“Ich glaube, dass dieses Museum ein Kunstlicht sein wird, das sich von EskiÅŸehir in unser Land und in die Welt ausbreitet.” Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip ErdoÄŸan gilt nicht gerade als Freund der Künste. Eher als Hass-Gegner der türkischen Kulturwelt. Und als Feind der westlichen Moderne. Doch genau mit diesen salbungsvollen Worten eröffnete der regierende Autokrat am vergangenen Wochenende das neue Odunpazarı-Museum für moderne Kunst in der türkischen Provinzstadt EskiÅŸehir.

Angesichts des Starts des in diesem Jahr mit der 16. Istanbul-Biennale, der Kunstmesse „Contemporary Istanbul“ und zahlreichen neuen Artspaces in der Stadt besonders üppig ausgestatteten Istanbuler Kunstherbstes, lässt es aufhorchen, wenn zeitgleich ausgerechnet in der Provinz ein spektakuläres privates Kunstmuseum eröffnet.

Benannt hat sein Besitzer, der türkische Architekt und Bauunternehmer Erol Tabanca, der bis vor kurzem seine Sammlung in dem privaten Istanbuler Kunst-Show-Room „Polart Maslak“ zeigte, das neue Heim für seine rund 1000 Kunstwerke zählende Sammlung nach einem Stadtteil der progressiven, CHP-regierten Universitätsstadt zwischen Istanbul und Ankara – mitten in der anatolischen Pampa im Nordwesten der Türkei. Die rund 800.000 Einwohner zählende Stadt wird wegen ihrer zahlreichen Brücken und Kanäle auch das „Venedig der Türkei“ genannt. Hier wurde Tabanca geboren.

Gemessen an dem neuen, lange erwarteten Arter-Kunstmuseum der Industriellenfamilie Koç, das in dieser Woche in Istanbul während der Biennale eröffnet, ist das Odunpazarı-Museum zwar das kleinere. 18000 Quadratmetern Fläche in Istanbul stehen gerade mal 4500 Quadratmeter in Eskişehir gegenüber. Architektonisch gesehen ist das großartige neue Museum in der Provinz aber eindeutig wagemutiger und innovativer.

Der japanische Architekt Kengo Kuma hat Tabanca ein Ensemble riesiger Holzkuben entworfen, die aus übereinandergestapelten Kantbalken aus sibirischer Pinie gebildet sind und an die Tradition der Stadt als Holzmarkt erinnern sollen – Odunpazarı heißt im türkischen Holzmarkt. Das Design nimmt die charakteristische Bauweise der alten Holzhäuser der Stadt mit ihren vorspringenden Erkern auf: Eine historische Referenz, die Kuma mühelos und unaufdringlich in die Moderne transferiert und für Akzeptanz bei der kunstentwöhnten Bevölkerung der Provinz sorgen dürfte.

Sieht das massive, von den Architekten Grimshaw in den Istanbuler Arbeiter- und Handwerker-Viertel Dolapdere geklotzte Arter-Kunstmuseum wie eine deutsche Shopping-Mall der 80er-Jahre, hat der Kuma-Bau in Eskişehir etwas von einem Museum der Zukunft: Nachhaltig, egalitär, intim, zugänglich. Es gibt keinen klaren Mittelpunkt oder Zentralbau, Ausstellungen und Sammlungen sind von allen Seiten gleichermaßen zugänglich. Es dominiert nicht seine Umgebung, sondern fügt sich in sie ein.

Die lamellenartige Balkenstruktur filtert viel Tageslicht in das Innere, so entsteht eine warme Atmosphäre. „Ich glaube, Museen können im 21. Jahrhundert mehr als Räume für Kunst sein, sie können Wohnzimmer für die Gemeinschaft sein“ – Kumas sympathische Vision eines neuen Museums des 21. Jahrhunderts wird in der kleinen Stadt absolut sinnfällig.

Mit der fast 2000 Werke umfassenden Arter-Sammlung kann es die 1000 Werke starke Sammlung von Erol Tabanca dagegen nicht aufnehmen. Wie fast alle türkischen Kunstsammler setzt auch der sympathische Unternehmer mehr auf einen sehr persönlichen Geschmack als auf eine kunsthistorisch abgesicherte, chronologische Repräsentation des Kunstschaffens in der Türkei. Der unerklärte Schwerpunkt dieser Kunstliebhaberei sind großformatige Ölbilder.

Dennoch finden sich in der von Haldun Dostoğlu kuratierten Eröffnungsschau „Unity“ einige bemerkenswerte Positionen. Die Spannweite reicht von Nejad Melih Devrims, an der europäischen Moderne orientiertem Werk „Ayasofya“ aus dem Jahr 1946 (dem ältesten Werk) bis zu Guido Casarettos 3D-Skulptur „Do unpleasant people share similiar features III“ aus dem Jahr 2019. Aber auch zwei durchaus eindeutige Arbeiten der queeren türkischen Künstler Caner Teylan und Erinç Seymen waren zu sehen. Das Highlight der prominenten Eröffnung war die Installation des japanischen Bambus-Künstlers Tanabe Chikuunsai IV. Vier der Stränge der Bambusskulptur „Das fünfte Element“ symbolisieren die Elemente Wasser, Erde, Luft und Feuer. Der fünfte steht für den „humanen Faktor“, der alles verbindet.

Das neue Haus befördern zwar auch kulturwirtschaftliche Interessen. Wenn Tabanca sich von dem architektonischen Eyecatcher vollmundig einen „Odunpazarı-Effekt“ verspricht, will er das Vorbild Bilbao im Baskenland kopieren. An das Museum angeschlossen ist ein gleichnamiges Boutique-Hotel, erbaut im gleichen Stil wie das Museum. Gründungen wie Odunpazarı sind dennoch mehr als überfällig. Sieht man von dem, 2010 in einem alten Bahnwerk in Ankara eröffneten Kunstmuseum Cermodern und den drei kleinen Biennalen in der Schwarzmeerstadt Sinop, dem kurdischen Mardin und in Çanakkale an den Dardanellen ab, herrscht in der türkischen Provinz nämlich weitgehend Kunst-Leere. Einzig in der Metropole Izmir gibt es noch ein nennenswertes öffentliches Kunstmuseum.

Tabanca versöhnlerisches Kunst-Motto: „Art is something, that softens all harsh relations“ muss man sicher nicht goutieren. Die Menschen in der Provinz mit ungewohnten Sehweisen und alternativen herauszufordern, macht aber womöglich mehr Sinn, als die Kunstblase Istanbul immer weiter auszudehnen. Das Haus ist zudem ein wichtiger Schritt zur kulturellen Dezentralisierung des auf die Metropole Istanbul fixierten Landes. Und es zeigt, dass im kulturellen Hegemonialkampf zwischen Islam und Moderne in der Türkei die liberale Öffentlichkeit (immer noch) die Nase vorne hat. (Ingo Arend). https://www.omm.art; https://www.msn.com/tr-tr/video/unluler/cumhurba%C5%9Fkan%C4%B1-erdo%C4%9Fan-odunpazar%C4%B1-modern-m%C3%BCzesini-gezdi-eski%C5%9Fehir/vp-AAGWQdY

Dazu in Band 244 erschienen:


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