Tino Sehgal
Arbeiten am Ritualort
Ein Gespräch von Barbara HESS
Der Guardian bezeichnete Tino Sehgal (*1976 in London, England) unlängst als „Albtraum für Instagrammer“. Nach einer Tanzausbildung an der Folkwang-Hochschule in Essen und einem Volkswirtschaftsstudium in Berlin in den 1990er Jahren wurde Sehgal Anfang der 2000er Jahre international rasch bekannt mit ephemeren, körperbasierten Arbeiten für Räume in Kunstinstitutionen, die er „konstruierte Situationen“ nennt und die in keiner Form materiell dokumentiert werden sollen.
BH Sie haben in einer frühen Arbeit, (untitled) (2000), in der Sie zwanzig Tanzstile des 20. Jahrhunderts aufgeführt haben, den Tanz und die Institution Museum zusammengebracht. Stammt die Bezeichnung der Arbeit als „Museum des Tanzes“ von Ihnen? Oder war das eine Zuschreibung von außen?
TS Die Arbeit hatte mehrere Titel, die mündlich aufgesagt wurden. Im Deutschen hieß sie … das 20. Jahrhundert, angelehnt an eine Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie, im Französischen Musée d’Art Moderne, Département XXe Siècle, Section – also ein Broodthaers-Verweis. Ich kam Mitte, Ende der 1990er Jahre aus einer Szene um Xavier Le Roy, Jérôme Bel, Meg Stuart und Marten Spangberg, die einen Kunstanspruch in den Tanz einbrachte, in dem Sinne, dass es eine Künstlerfigur gibt, die eine Vision hat und diese – orientiert an der bildenden Kunst – konsequent umsetzt. Diese Bewegung wurde dann streckenweise „Konzepttanz“ genannt.
BH Kamen in dieser Arbeit auch Tänzer*innen vor, die bereits einen starken Bezug zur bildenden Kunst hatten, wie Yvonne Rainer oder Merce Cunningham?
TS Klar. Aber ich habe sie nicht benannt. Es ging mehr um Werte und Ausdruckshaltungen…