Relektüren
Folge 89
von Rainer METZGER
Eines der raffiniertesten Stücke Kunstgeschichte ist in Fälschungsabsicht entstanden. Anton Raphael Mengs, nicht eben beliebt in der Disziplin, da er als Hofkünstler in Madrid Größen des Faches wie Giambattista Tiepolo und Francisco Goya zu befehligen hatte, ist für den Fake verantwortlich. Durchaus der Tradition entsprechend wollte er dem Publikum eine Antike unterjubeln, doch diesmal war es anders als etwa bei Michelangelo. Mengs wollte eigentlich nur eine einzige Person hinters Licht führen, die niemand anderes war als Johann Joachim Winckelmann, so etwas wie der Begründer der wissenschaftlichen Kunstgeschichtsschreibung. Virtuos brachte, es ist das Jahr 1759, Mengs mit seinem Jupiter und Ganymed Winckelmanns homoerotische Saite zum Klingen: „Es ist so viel Wollust auf demselben“, jubilierte Winckelmann, „daß dessen ganzes Leben nichts als ein Kuß zu sein scheint“ (in seiner Geschichte der Kunst des Altertums, Ausgabe Darmstadt 1982, S. 262).
Das Raffinierte an Mengs’ Kunststück besteht nun darin, dass die gefälschte Antike als Fresko daherkommt. Und bei den Alten, so weit man dies etwa durch das gerade ausgegrabene Pompeji sicherstellen konnte, gab es nur Malerei auf trockenen Gründen. Winckelmann musste also seiner eigenen Rekonstruktion des Prinzips Sekko untreu werden, musste seiner Prämisse widersprechen, um das Bild, das ihm da vorgeführt wurde, unterzubringen. Ein ganz neuer Typus von Kunstbeflissenen wurde hier angesprochen, der Theoretiker, der Spezialist. Hätte Mengs, der Profi, der Praktiker, der Vertreter des Prinzips Meisterschaft, einfach täuschen wollen, hätte er nur zeigen wollen, dass er sein Metier beherrscht, so hätte er ein Sekko angeboten. Doch er wollte keine beiläufige…