Report
100 Jahre Tinguely
Ein Philosoph, der in seinen Gedanken und Werken versuchte, das Leben, seinen Sinn, seine Sinnlosigkeit, zu erfassen.
von Annegret Erhard
Die Schweiz feiert Jean Tinguelys Hundertjähriges. Normalerweise begeht man dieses Künstlerjubiläum, indem Werke aus der Versenkung geholt und in Sonderausstellungen präsentiert werden, indem in Kolloquien etc. auf Sinn, Zweck und Bedeutung des Oeuvres eines Jubilars verwiesen wird. Und dergleichen mehr. Bei Tinguely ist das ganz anders, er ist in der Schweiz, zumindest in den beiden Städten, denen er am engsten verbunden war, allgegenwärtig. Allgegenwärtig trifft es überhaupt ganz gut. Er war, bei aller Störrigkeit oder, sagen wir, Unbeirrbarkeit, ein unüberseh- und hörbar geselliger Typ – zumindest bei oberflächlicher Betrachtung. Seine Kontakte konnte er scheinbar mühelos wirksam einsetzen.
Tatsächlich war Tinguely ein Philosoph, der in seinen Gedanken und Werken versuchte, das Leben, seinen Sinn, seine Sinnlosigkeit, zu erfassen. Ihn interessierte das menschliche Streben. Ja, nach was? Nach Unsterblichkeit im tatsächlichen und im übertragenen Wortsinn? Ihn interessierte die Vergeblichkeit des menschlichen Tuns, die ewige Suche nach einer Vergewisserung, einer Konstante. Jean Tinguelys Aussage „static is movement“ respektive „Movement is static“ bestimmte sein kunstformales Denken. Damit bezog er sich – sehr klassisch, geradezu bildungsbürgerlich – auf Heraklit, der vor Jahrtausenden postulierte, dass alles im Fluss sei und Stillstand nur eine Illusion. Also baut Tinguely Maschinen, die in rastloser Bewegung zweckfrei, unberechenbar, oft völlig überraschend unser Spiel des Lebens anschaulich wiedergeben. Die sind zunächst oft spaßig anzuschauen, regen dann aber durch ihre Unbestimmtheit, ihre Zufallsmobilität samt Lärm die Fantasie, das kreative Potential der…