Hamburg
AGATHE DE BAILLIENCOURT
Reactance
Galerie Vera Munro 11.09.2025–06.01.2026
von Jens Asthoff
Sich auftürmende Farbverläufe, schwankend, fragil, leicht im Kolorit und voll greller Kontraste: Diese Bilder, verortet im Resonanzraum autonom abstrakter Farbfeldmalerei, verkörpern Aufwärtsstreben, lichtes Drängen und zugleich auch dessen Kippmoment. In Reactance, ihrer ersten Einzelschau bei Vera Munro, zeigt Agathe de Bailliencourt (*1974, Paris) sechs Gemälde aus zwei umfangreichen Serien (2017–2019). Die Arbeiten mögen auf den ersten Blick expressiv erscheinen, sind aber eher konzeptuell fundiert – malerische Formulierungen aus Gravitation und Geste. „Ich arbeite mit experimentellen Methoden,“ so die Künstlerin, „um den fragilen, flüchtigen und unvorhersehbaren Moment des Fallens zu materialisieren.“ Sie orientiert ihre Malerei an Prozessen, in denen Dinge aus dem Gleichgewicht geraten, inspiriert durchs künstlerische Potenzial von Instabilität, wie es etwa auch in Fischli/Weiss’ Der Lauf der Dinge (1987) oder deren Equilibres (1984–87) zum Ausdruck kommt.
Gravitation also, besagtes Fallen (und buchstäblich der Zu-Fall), manifestieren sich in dieser Malerei als Fließen, Tropfen, Schichten – unabhängig von kompletter Kontrolle durch die künstlerische Hand. Und doch, beliebig ist das nicht: De Bailliencourt eröffnet dem freien Farbfluss konzeptuell klar gefasste Spielräume. Für alle Werke einer Serie gelten bei ihr bestimmte Rahmenbedingungen. Das betrifft hier etwa die präzise Vorauswahl der Farben, den akkumulativen Bildaufbau, standardisierte Formate und die Verwendung ungrundierter Stoffe wie Jute, Baumwolle oder Leinen als Trägermaterial. Die Künstlerin wandte vorab viel Zeit und Sorgfalt für Auswahl und Zusammenstellung der Farben auf. Über Tage fertigte sie Proben fein nuancierter Mischungen an, glich die Farbtöne nach Trocknung auf den jeweils vorgesehenen Trägerstoffen ab, um Wirkung…