Fragen zur Zeit
Bully-Blau und Hautverkauf
Anmerkungen zu einer Herren-Outfit-Facette und zum Tattoo-Boom
von Michael HÜBL
Das letzte Hemd: Man sagt, es sei unter Wehrpflichtigen beliebt gewesen. Das letzte Hemd war nicht gedacht als Totenkleid, sondern als Rettungsanker. Wenn man sich – in einer Kneipe, Spelunke, Bar – finanziell zu sehr verausgabt hatte, sollte immer noch eine Reserve übrig sein für den Absacker, den ultimativen Drink. Sorgsam, ja penibel gefältelt war das letzte Hemd, ein außergewöhnliches Stück Origami, edel verziert. Denn es war hergestellt aus einem Zehn-D-Mark-Schein, wie er zwischen 1961 und Anfang der 1990er-Jahre in Umlauf gebracht wurde. Auf dessen Vorderseite prangte das Porträt eines jungen Mannes mit lang gelocktem Haupthaar; das Bildnis erinnert an Albrecht Dürer, ohne dass dessen Name auf der Banknote erwähnt würde. Auf deren Rückseite weht gleichsam der Wind der weiten Welt. Wiedergegeben ist ein, ebenfalls nicht näher bezeichneter, Dreimaster, von dem aber allgemein bekannt ist, dass die „Gorch Fock“ gemeint war, das Segelschulschiff der Bundesmarine.
Gestochen scharf ist sie dargestellt. Das passt genau wie das mit Schwarz und Rot kombinierte Blau, das den Grundton der Schiffsansicht vorgibt, in die Zeit, als die ersten dieser Zehner herauskamen. Damals waren es vorwiegend Seeleute, die sich mal einen Anker, mal ein Pin-Up-Girl in die muskulösen Arme stechen ließen. Heute sind Tätowierungen gang und gäbe. Auch die Farbpalette hat sich erweitert, wie überhaupt nicht mehr nur einzelne Zeichen, sondern veritable Gemälde in buntesten Schattierungen unter die Epidermis gepunktet werden. Wenn nun Blau und Schwarz auch nicht mehr den exklusiven Status haben,…