Ein neues goldenes Zeitalter der Malerei?
Warum die Sozialen Medien die Kunstgattungen neu sortieren
von Wolfgang ULLRICH
Gab es seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in diversen Varianten den Topos, die Malerei werde durch die Fotografie entmachtet, ersetzt oder marginalisiert, so ließe sich seit dem Boom der Sozialen Medien das Gegenteil behaupten: Die Malerei – oder allgemeiner: das Malerische – hat sich gegen die Fotografie – das Fotografische – nicht nur behauptet, sondern besitzt sogar eine größere Reichweite und Macht als jemals zuvor. Wie aber das?
Der Paragone zwischen dem Malerischen und dem Fotografischen
Digitalisiert sind Bilder in Zahlen angelegte Dateien, die von Programmen erstellt, bearbeitet und sichtbar gemacht werden. Für ein digitales fotografisches Bild verlässt man sich nicht mehr auf fotochemische Prozesse, sondern verändert einzelne Parameter – Farbwerte, Kontraste, Proportionen, Stile – nach Belieben. Mithilfe eines Filters tönt man ein Foto, ein KI-Programm fügt ihm weitere Elemente hinzu oder versetzt es in einen anderen Stil, eine App retuschiert störende Elemente, eine andere verjüngt Gesichter oder rechnet unscharfe Partien scharf. Digitale fotografische Bilder und generell digitale Bilder entstehen damit aber genauso als Abfolge gestalterischer Entscheidungen wie gemalte Bilder. Allerdings ist oft kaum zu erkennen, welche Gestaltungsprozesse bei einem digitalen Bild stattgefunden haben; sein von der Genese her malerischer Charakter wird üblicherweise camoufliert, sehr oft erscheint ein fotografisch-digitales Bild nach wie vor wie eine analoge Fotografie.
Daraus aber erwächst ein entscheidender Vorteil für die wirklich – herkömmlich – gemalten Bilder. Denn soweit die formalen Entscheidungen bei ihnen sichtbarer sind, ja soweit ihre Faktur immer auch Thema…