Relektüren
Folge 90
von Rainer METZGER
Gerade ist eine Doppelbiografie zu Heinrich und Thomas Mann erschienen. Hans Wisskirchen, der Autor, Multifunktionär für die Verpflichtungen der Stadt Lübeck ihren großen Söhnen gegenüber, zeichnet darin das interessante Bild, dass erst über ihre zweifache Zuständigkeit eine einheitliche Haltung entstanden ist, die sie zu Repräsentanten des politischen Deutschlands macht. Jeder für sich – „Thomas Manns Politikferne bis 1914, sein Agieren für den Obrigkeitsstaat in der Zeit ab 1914, seine Ablehnung der Weimarer Republik bis 1922, sein zögerliches Annehmen der Exilsituation ab 1933, seine unklare Haltung nach 1945 im Kalten Krieg, Heinrich Manns Antisemitismus in den jungen Jahren, seine Forderung nach einer Diktatur der Vernunft in der Weimarer Republik, sein Glaube an Stalin und Russland als einziger Gegenpol zu Hitler, sein Rückzug ins Private ab 1940“ – hat sich bisweilen mächtig geirrt. Indes es „ist jeweils der andere Bruder, der gegen diese Einseitigkeiten steht und das gemeinsame Bild entstehen lässt“ (Hans Wisskirchen, Zeit der Magier, Frankfurt 2025, S. 12 / 13). Thomas Mann musste nach links rücken, Heinrich die Diktatur des Proletariats abstreifen, um aus ihnen beiden die überzeugendsten Verfechter der Weimarer Republik und die einflussreichsten Stichwortgeber der Emigration zu machen.
Wisskirchens Argumentation geht noch weiter: „Ganz wichtig: Erst in diesen Jahren des amerikanischen Exils entsteht jene bis heute gültige Sicht auf die Brüder Mann als ein Schriftstellerpaar, in dem Thomas Mann der Größere, Wichtigere und Bedeutsamere ist … Das verstellt manche Einsicht und macht vor allem die Bedeutung Heinrich Manns für das Bruderverhältnis kleiner als sie war…