Immer das gleiche, nie dasselbe
Nacktheit, Eros, Sex und Kunst
von Martin Seidel
Nacktheit, Eros, Sex gehören zu den großen Themen und Aufgaben der Kunst aller Zeiten und Kulturen. Das christliche Mittelalter allerdings tat sich bekanntlich schwer und intervenierte. Die Unbefangenheit der Antike und anderer Kulturen ging bis heute spürbar verloren.
Künstlerisches Ideal, Moral und Wahrheit im Clinch
Im Unterschied zu den Künstlerinnen und Künstlern seit der Moderne hatten die Künstler*innen vergangener Epochen weitaus weniger Gelegenheit, sich in ihren Werken ohne Umwege, direkt, ehrlich und unverklemmt mit Nacktheit, Erotik und Sexualität auseinanderzusetzen. Sie mussten die divergierenden ästhetisch-künstlerischen Interessen und kultisch-historischen Belange irgendwie in Einklang bringen. So ließen sie die Märtyrer in sprichwörtlicher Schönheit sterben, den Hl. Sebastian [04] sich nur unwesentlich von einem Apollo [03] unterscheiden und Heilige in uneindeutige mystisch-sexuelle Ekstasen geraten [02]. Selbst die stillende Muttergottes blieb von Erotisierung nicht verschont und musste als Maria lactans gelegentlich – so bei Jean Fouquet im Jahr 1456 – in pikanter Weise ihre Brust entblößen. Bei gleichzeitiger Stigmatisierung des Nackten drängte das Interesse der Künstler*innen und ihrer Kund- und Auftraggeberschaft an körperlichen Reizen immer wieder erotisch bis lasziv über das Sujet hinaus und setzte sich über historische Vorgaben und Plausibilitäten hinweg. Die 1528 entstandene Lucretia von Lucas Cranach d. Ä. etwa ist ein ansprechendes Aktgemälde. Bemerkenswerterweise findet Cranach für den ergreifenden Stoff der Frau, die sich nach einer Vergewaltigung erdolcht, eine Form, die sich nur unwesentlich von seiner Venus mit Amor als Honigdieb unterscheidet.
Erotik mit und ohne Nacktheit
Um erotisch zu sein, braucht Kunst…