Essay
In den Nebeln des documenta-Futurismus
Die Umrisse von Naomi Beckwiths kuratorischer Vision für die documenta 16 bleiben beunruhigend vage
von Ingo Arend
Farbmusterkarten mit verschiedenen Namen vor dem Hintergrund des blauen Michigansees in Chicago. Als Naomi Beckwith Mitte März in Kassel ein Still aus dem Werk Lake Interiors: AF-520, 2012 der US-Filmregisseurin Cauleen Smith an die Wand der documenta-Halle projizierte, hielten das die gut 700 Besucher*innen für eine biografische Brücke zu dem kuratorischen Konzept, das sie von der ersten öffentlichen Lecture der neuen Künstlerischen Leiterin der documenta 16 erwarteten. 1976 wurde die Kunsthistorikerin in der US-Metropole im liberalen Bundesstaat Illinois geboren. Auch wenn sie den Großteil ihrer professionellen Laufbahn in New York verbrachte, hat die Stadt sie politisch und kulturell tief geprägt.
Doch auch wenn Beckwith von einer „Hommage an meine Stadt“ sprach. Smiths Schlüsselbild war weniger eine gefühlige Kindheits-Reminiszenz denn eine strategische Setzung. Denn die Schwarze Künstlerin Smith, Kunstprofessorin an der University of California in Los Angeles, wurde bekannt für ihre experimentellen Arbeiten zur afrikanischamerikanischen Identität und ihre Beschäftigung mit dem Jazz-Komponisten, Bandleader und Poeten Sun Ra, Begründer des „The Sun Ra Arkestra“ und Pionier des Afrofuturismus. Es klang wie ein Echo dieses Ansatzes, als Beckwith den „panafrikanischen Geist“, die „kreativen Musiker*innen“ und die „nicht-hierarchischen Öffentlichkeiten“ Chicagos, insbesondere der Schwarzen Communities, als ihre (ästhetischen) Sozialisationsinstanzen beschwor. Folgerichtig verwies Beckwith als Beleg für ihr kuratorisches Selbstverständnis auf ihre Gruppen-Ausstellung The Freedom Principle. Experiment in Art and Music, 1965 to Now im Museum of Contemporary Art in Chicago 2015, die das Erbe des…