POV Gen Z
Marie-Jo Lafontaine: Les larmes d’acier, 1987
von Jennifer BRAUN
Es ist ein riesiger schwarzer Klotz mit 27 Röhrenfernsehern drin. Ich dachte zunächst, es wäre Nam June Paik auf Steroiden. Auf den Monitoren ist immer jeweils das gleiche intervallgeschaltete schwarz-weiße Video zu sehen: Close-Ups von athletischen jungen Männern beim Gewichte-Heben, sinnlich in Slow Motion und mit Maria Callas’ Casta Diva musikalisch untermalt. Anstrengung geschuldetem Schweiß kommt ein Hauch von Erotik hinzu, als einer sich unter der Last auf die Lippe beißt und ein anderer die Arme wie ein Heiliger Sebastian ausstreckt und ekstatisch den Kopf zur Seite neigt. Wählte man die Ausschnitte nur ein klein wenig anders, würde man meinen, da passiere gerade etwas ganz anderes als Krafttraining. Durch die leichte Zeitversetzung von links nach rechts entsteht eine Choreografie, die den fließenden Bewegungen von Synchronschwimmern gleicht. Ich stand sehr lange vor dieser Arbeit. Unanständig lange. Und ich stand davor mit einem Gesichtsausdruck, der dieser Emoji-Kombination gleicht:
Erst nach einer ganzen Weile schaute ich mir das Label an und fühlte mich beim Titel böse vor den Kopf gestoßen: Les larmes d’acier. Die Tränen aus Stahl. So wurden in Belgien die von den Deutschen abgeworfenen Bomben im Zweiten Weltkrieg genannt. Oh.
Mit dramatischem Pathos wechselt die Musik zu Hector Berlioz’s Trauermarsch für die Schlussszene von Hamlet. Die Gesichter drücken nichts als betäubte Entschlossenheit aus. Dazu monumentalisierende Untersichten wie in einem Leni Riefenstahl Film. Das Hanteltraining wirkt durch die Intervalle wie ein rasanter maschineller Ablauf. Spätestens als einer den rechten Arm mit einer Hantel hebt,…