Tanz mit dem Scheitern
Zeitgenössische Choreografien des Widerstands
von Bettina HAISS
Kollision
Am 12. August 1978 erschütterte ein katastrophales Ereignis die Welt des US-amerikanischen Footballs, zu der auch der damals elfjährige Matthew Barney gehörte. Während eines Spiels zwischen den Oakland Raiders und den New England Patriots prallte der Verteidiger der Raiders Jack Tatum – wegen seiner schonungslosen Attacken als „The Assassin“ bekannt – gegen den Wide Receiver der Patriots Darryl Stingley. Dieser heftige Bodycheck verursachte die lebenslange Querschnittslähmung von Stingley. Matthew Barneys jüngstes Werk Secondary (2023), eine Fünf-Kanal-Video Installation, kreist um diesen gewaltvollen Höhepunkt eines Spiels, der eine bis heute ungebrochene Faszination auf den Künstler ausübt.
Körper und Kreativität
In Secondary wird das Duell der beiden Football-Spieler in einer Reihe von choreografierten Bewegungssequenzen abstrahiert. Das dargestellte Aufeinanderprallen der gegnerischen Spieler bildet den Kulminationspunkt und die fatale Zuspitzung eines Kräftekonflikts, der im Zentrum von Barneys Auseinandersetzung mit Bedingungen des eigenen künstlerischen Schaffens sowie der Entstehung skulpturaler Form steht. Ausgehend von seinen Erfahrungen als Leistungssportler behauptet Barney, der sich als Bildhauer versteht, bereits 1990 programmatisch „Der Athlet ist der Künstler […] Der Künstler ist der Athlet“1 und überträgt die Belastung, die im Krafttraining Voraussetzung für das Wachstum des Muskels ist, als produktive Bedingung auf den kreativen Schaffensprozess: „Unter wiederholter extremer Belastung beginnt [der Muskel] zu brennen und bricht gewissermaßen zusammen, doch dann heilt er und wird dabei immer stärker. Diesen Prozess, aus Widerstand Form zu erschaffen, wollte ich für die Kunst nutzen.“2 Er überführt somit den Kräftekonflikt der Hypertrophie und die Disziplinierung des sportlichen Körpers in die…