Berlin
Vaginal Davis
Fabelhaftes Produkt
Gropius Bau 21.03.–14.09.2025
von Ingo Arend
High and Low – mit einem programmatischen Titel gab Kirk Varnedoe 1990 seinen Einstieg als Direktor des MoMA in New York. Der Versuch des Kunsthistorikers, Hoch- und Trivialkultur im Tempel der Moderne zu versöhnen, war zwar umstritten. Mit seiner revolutionären Schau setzte er aber einen Standard. Die Versuche von Museen und Künstler*innen, dieser Maxime zu folgen, sind inzwischen Routine geworden. Doch wenn es jemandem gelingt, diese Prinzipien noch einmal lustvoll durcheinanderzuwirbeln, dann Vaginal Davis. Fabelhaftes Produkt, die Schau der 1969 in Los Angeles als Tochter einer Schwarz-Kreolischen Mutter und eines mexikanischstämmigen Vaters geborenen, intersexuellen Performerin, Drag Queen, Filmemacherin, Dozentin, Kuratorin und Schriftstellerin im Gropius-Bau, trägt das, einer Haarpflegereklame entlehnte, popkulturelle Bekenntnis demonstrativ im Titel. In dieser Schau entsteigt gleichsam das Gesamtkunstwerk Miss Davis aus dem Urschlamm der Subkultur. Schon ihr Künstlerinnenname, eine sexualisierte Hommage an die Geistesgröße Angela Davis, arbeitet mit diesem „blend“. 2005 siedelte Davis, von der Gentrifizierung in Los Angeles vertrieben, den günstigen Lebenshaltungskosten und dem liberalen Ruf des Nachwende-Berlins angezogen, an die Spree. Mit ihren Auftritten in dem, zusammen mit dem Queer- und Medientheoretiker Marc Siegel und der Schauspielerin Susanne Sachsse gegründeten Kunstkollektiv „Cheap“, stieg sie auch in Berlin zu einer Ikone der queeren Kultur auf.
Das Verdienst, der von Kurator Hendrik Folkerts für das Moderna Museet in Stockholm kuratierten Ausstellung, die nach Berlin in New Yorks MoMA PS1 wandert, ist es, Davis‘ zum Klischee geronnenes Bild aufzubrechen. Denn die Arbeiten aus den Jahren 1985 bis 2025, zusammengefasst in sieben Installationen, zeigen, dass diese „Blacktress“ (black actress) und „Drag-Terroristin“ mehr ist als eine schrille Figur aus Berlins 2000ern. Eine Installation ist der Nachbau der „HAG“-Galerie, die sie von 1982 bis 1989 in ihrer Wohnung am Sunset Boulevard in LA betrieb – die abschätzige Bezeichnung für eine geile, alte Vettel erhob Davis zum Prädikat. Eine andere erinnert mit der ikonischen Architektur des Cinerama Dome am Sunset Boulevard an die cineastischen Ursprünge von Davis‘ Kunst. Damals avancierte sie zur Gründungsfigur der „Homocore“-Szene, die den machoiden Punk und die verbürgerlichte Schwulenszene mit queerem Porn und Punk herausforderte. Die „high“ Culture schwang im Subtext als Referenz immer mit. So wenn Davis in ihrem Film Teddys Beastiary Adorno und Adornos Tante spielte. Neben den Installationen, die dokumentarisch an Cheap in Berlin erinnern oder mit der Hofpfisterei ein Archiv ihrer Autorinnentätigkeit und des Blogs „Speaking from the Diaphragm“ aufbahren, stammt die wohl schönste aus dem Jahr 2021. The Wicked Pavillon: Tween Bedroom versammelt in einem Jugendzimmer Ephemera, die Davis in ihrer Performance Twee and Sympathy von 2007 – 2014 verwendete: Plakate ihrer Art-Punk-Band Afro Sisters, Promi-Bilder an einer Wäscheleine, eine Soundinstallation. Auf einem viktorianischen Kinderbett thront ein riesiger Dildo aus Gips – das Goldene Kalb von Davis’ heiterem Genderspott. Die Verschmelzung von „high“ und „low“ wird in der zentralen Installation deutlich. In der Eingangshalle liegen in Vitrinen Ausgaben von L. Frank Baums Buchklassiker Der Zauberer von Oz. Dem Buch, einer frühen Bibel der queeren Community, widmete Davis schon mit acht Jahren in der Pio Pico Library in L.A. eine Ausstellung. Übertitelt ist die Hommage an die Kindheit mit dem pornografischen Titel Naked on my Ozgoad: Fausthaus – Anal Deep Throat. Die Wände überziehen, zwischen Street-Art-Graffiti und Art-brut changierende, Zeichnungen der Charaktere, die Davis mit Schminke, Eyeliner oder Glitter gemalt hat. Die einzigartige Kunst dieser kulturellen Allesverwerterin besteht darin, weit auseinanderliegende Genres, Themen und Materialien zu einem Universum zu verknüpfen, in dessen Mitte sie selbst als schillernde, polysexuelle, interkulturelle, stets fröhlich-frivole Interpretin steht. Nichts Menschliches ist dieser schaumgeborenen Venus des Undergrounds fremd.
Die Ausstellung kommt zur rechten Zeit. Setzt sie doch in einem der repräsentativsten Kunsträume der Hauptstadt ein Zeichen für die queere Kultur, die global unter existenzbedrohenden Druck gerät. Sie erinnert auch an die kulturbildende Kraft der Subkultur in einer Stadt, deren raison d’être sie einst war und die diese Substanz zu verlieren droht. Mag Davis’ Credo, „Alles kulturell Faszinierende und Interessante hat seinen Ursprung in der Halbwelt der Schwarzen queeren Community. Dann wird es vom Schwarzen Hetero-Mainstream übernommen und schließlich von der vorherrschenden oder populären Kultur angeeignet“ auch so pauschal falsch sein: Man möchte sich aber nicht vorstellen, was ohne diese ästhetische Transformation vom Mythos Berlin bliebe.
Vaginal Davis. Magnificent Product, Katalog, Hrsg. v. Hendrik Folkerts, Moderna Museet und Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln, 312 Seiten, 34 Euro