Wenn ein Like zum Skandal wird
Kulturinstitutionen in der digitalen Identitätskrise
von Karin Bjerregaard Schlüter und Ralf Schlüter
Manchmal deutet ein kleiner Wink den Wendepunkt in einem Drama an. Ein Konflikt schwelt so lange, bis jede Geste heikel wird. Im November 2024 wurde die Kunstwelt von einem Like erschüttert. Damals hatte die Neue Nationalgalerie in Berlin eine Retrospektive von Nan Goldin angekündigt. Die US-amerikanische Fotografin gehört zu den erfolgreichsten Künstler *innen der Gegenwart. Und sie versteht sich als Aktivistin: Zuletzt hatte sie Israels Feldzug in Gaza hart kritisiert – explizit als Jüdin. Klaus Biesenbach, der Direktor der Nationalgalerie, musste also mit Gegenwind rechnen. Israel-Kritik anhand von Begriffen wie „Genozid“ und „Holocaust“ war zuletzt in Deutschland häufig Auslöser für Skandale – weil dahinter oft antisemitische Motive durchscheinen. Um den Goldin-Auftritt in Berlin institutionell aufzufangen, wurde ein Symposium zur Diskurslage geplant. Anscheinend, ohne die Künstlerin darüber zu informieren.
Am 13. November erschien ein Posting auf dem Instagram-Account „Strike Germany“. Darin wurde das Symposium als Propaganda von „Leugnern und Zionisten“ kritisiert: „Über Genozid debattiert man nicht.“ Hinter dem „Strike“Account stehen antiisraelische Aktivist *innen, sie setzen Künstler *innen aus der ganzen Welt unter Druck, deutsche Kulturinstitutionen zu boykottieren – letztere seien Helfer israelischer Verbrechen. Kurz darauf meldete sich Nan Goldin mit einer kleinen, aber deutlichen Geste: Sie setzte ein rotes Herz unter das Posting. Dieser Like war das entscheidende Signal. Der Konflikt war plötzlich für alle sichtbar, Goldin hatte sich öffentlich von ihrem Museumsdirektor und Freund Klaus Biesenbach distanziert und sich auf die Seite seiner Gegner geschlagen….