Zwischen Ordnungen tanzen
Krisenhafte Choreografien in Film- und Videokunst
von Ellen WAGNER
In den digitalen und sozialen Medien hat Tanzen bemerkenswerte Popularität erlangt. Welche Bewegungen Trend sind, welche ‚awkward‘, potenziell bedrohlich, unproduktiv, ist dabei dem Regime von Kapitalinteressen, Ideologien, Algorithmen und immer vorschneller, emotionaler aufeinander folgenden Kommentaren unterworfen: ob Fußballprofis Tore mittels „Emotes“ aus dem PC-Spiel und Battle- Royal-Shooter Fortnite bejubeln oder das australische B-Girl RayGun Häme für eigensinnige Känguru-Moves erntet; ob Donald Trump zu Y.M.C.A. – seit den 1970ern Hymne der LGBTQ-Community – mobilisiert oder Hana-Rawhiti Maipi-Clarke im neuseeländischen Parlament Einspruch gegen einen Gesetzesentwurf mit einem Haka erhebt: Der expressiv rituelle Tanz der Māori stellt sich dem Angriff auf indigene Rechte entgegen. Die Abgeordnete wird für 24 Stunden suspendiert.
Weniger Tanz als vielmehr seine Rezeption ist zum Battle viraler Verbreitung und Bewertung geworden: Welche Personen können sich auf welche Weise aufführen und öffentliche Präsenz erlauben?
Weniger Tanz als vielmehr seine Rezeption ist zum Battle viraler Verbreitung und Bewertung geworden: Welche Personen können sich auf welche Weise aufführen und öffentliche Präsenz erlauben? Welche Machtverhältnisse werden umgekehrt durch das Eindämmen, Einschüchtern, Diskreditieren einer von gesellschaftlich erwarteten Formationen abweichenden Bewegung verfestigt? Wie lassen sich getanzte Territorien queren?
Historisch zu verfolgen sind solche Dynamiken entlang der Diskursfigur der „Choreomanie“. Seit dem Mittelalter ist diese in Bezug auf ungeordnet, aber unermüdlich, passioniert bis manisch in öffentlichen Räumen tanzende, häufig marginalisierte Individuen und Gruppen in der Literatur zu finden. Als Ursachen der Ausbrüche werden Hungersnot, Pest und Mutterkorn, Unzufriedenheit mit der Kirche, mit politischen Systemen oder Kolonialregimen diskutiert. Über die…