Abschlussbericht zur documenta 15 liegt vor

7. Februar 2023 · Kulturpolitik

„Die Reaktionen der verantwortlichen Akteure auf Seiten der documenta… waren dem Ernst der Vorfälle nicht angemessen beziehungsweise haben die Situation verschärft“, lautet die Bilanz im Abschlussbericht des fachwissenschaftlichen Begleitgremiums zur documenta 15. „Antisemitische Vorfälle sind für Jüdinnen und Juden kein rein diskursives Phänomen, sondern sie bedrohen ihre gesellschaftliche Teilhabe, ihre Sicherheit und ihre Zukunft in Deutschland als Land der Shoah“, gibt das Gremium an die Adresse des kuratorischen Teams ruangrupa zu bedenken. Es müsse daher künftig eine klare Aufgabenteilung „zwischen Geschäftsführung und künstlerischer Leitung“ geben, des weiteren eine „Formalisierung der Rahmenbedingungen, in denen die künstlerische Leitung ihre kuratorische Verantwortung für die documenta wahrnimmt“. Zur Behandlung von künftigen Konflikten wird ein „externes Beschwerdemanagement“ vorgeschlagen. Denn die Verständigung auf Standards gegen Antisemitismus und Diskriminierung dürfe sich „nicht in den Vorgaben des Strafrechts erschöpfen“. Eine ausführliche Analyse der auf der d 15 umstrittenen Exponate kommt zu dem Ergebnis: „Alle der zahlreichen Werke, die sich mit dem Nahen Osten beschäftigen, waren einseitig antiisraelisch; demnach wurden alle jüdischen Figuren als Missetäter, und nie als Opfer von Diskriminierung, Gewalt und Terror dargestellt. Die documenta fifteen fungierte als Echokammer für israelbezogenen Antisemitismus, und manchmal auch für Antisemitismus pur.“ Der kuratorische Ansatz der d 15 sei aber nicht grundsätzlich falsch gewesen, denn viele aktuelle Großausstellungen wie z.B. auch die „Manifesta“ folgen „dem Prinzip der Dezentralisierung. Der urbane Ort, nicht in einer monolithischen Einheit, sondern in seiner Zerrissenheit, geprägt durch die Vielfalt kultureller Geschichte, bildet widersprüchlichste Schauplätze aus…“ Doch das sei nicht unproblematisch, denn solch ein kuratorisches Konzept lade dazu ein, „Grenzlinien zu ziehen und Kontrastbilder zu erzeugen, die ein geradezu unversöhnliches Gegenüber definieren. Dazu gehört alles Institutionelle, der Staat und staatliche Finanzierung, der Kapitalismus, Europa und der Globale Norden sowie dessen ausbeutende Agenden, die Systeme des freien Kunstmarkts…“ Das lässt sich freilich durchaus kontrovers diskutieren, denn wer Kunstmessen organisiert, eine Galerie betreibt und für den Unterhalt eines öffentlichen Museums staatliche Fördergelder einwerben muss, teilt eine solche Institutionskritik möglicherweise nicht in toto. „Raue öffentliche Auseinandersetzungen bei so gut wie jeder documenta… sind wesentlicher Bestandteil der Demokratie. Darauf scheinen die beteiligten Mitglieder von ruangrupa nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein“, heißt es in dem Bericht. „Grundsätzlich ist festzustellen, dass die von ruangrupa geforderte Unmittelbarkeit der Erfahrung prinzipiell kein Konzept der Vermittlung zulässt, erst recht kein Konzept der Vermittlung eines definierbaren, statischen Wissens und somit auch keine Kontextualisierungen, bei denen eine festgeschriebene Perspektive und eine Autorität der Sprecherrolle definiert ist.“ Am Ende des Kapitels über das Kuratieren heißt es in dem Abschlussbericht einigermaßen versöhnlich: „Fraglos gehört das produktive Scheitern zur Kunst und wird die documenta fifteen als wichtiges Format in die Geschichte eingehen“. http://www.documenta.de

Dazu in Band 283 erschienen:


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