Die Welt brennt
Feuer als Medium politisch engagierter Gegenwartskunst
von Ursula GRÜNENWALD
In der Videoperformance Paradox of Praxis 5. Sometimes we dream as we live. Sometimes we live as we dream kickt der belgisch-mexikanische Künstler Francis Alÿs eine fußballgroße brennende Kugel durch die nächtlichen Straßen von Ciudad Juárez. Die Millionenstadt im Norden Mexikos liegt an der Grenze zu den USA und ist seit Jahrzehnten für Drogengewalt, Kriminalität und staatliche Untätigkeit bekannt. In dem knapp achtminütigen Video wechseln sich Momente vollkommener Dunkelheit mit spärlich beleuchteten Straßenszenen und gleißend hellen Nahaufnahmen der brennenden Kugel ab. Alÿs setzt die Grenzregion als politisches Niemandsland in Szene, in dem ziviles Leben ständiger Gefahr ausgesetzt ist. Wie Alÿs thematisieren auch andere politisch engagierte Kunstschaffende mit dem Medium Feuer gesellschaftliche Missstände und globale Krisen aller Art, insbesondere rassistische Gewalt, postkoloniale Machtverhältnisse und globale Umweltzerstörung. Die Inszenierung von Feuer garantiert den Werken maximale Aufmerksamkeit, da offene Flammen unweigerlich Blicke auf sich ziehen. Ihr Auflodern steht ebenso für ein gefahrvolles Jetzt wie für einen zerstörerischen Prozess, der Augenzeugenschaft einfordert. Dieses spannungsgeladene Changieren zwischen schockhaftem Moment und drohender Katastrophe machen sich die Künstler*innen zu eigen, um bei den Betrachtenden Gefühle der Ohnmacht hervorzurufen, aber auch um wirkmächtige Handlungsimpulse zu setzen. Nicht zuletzt wissen sie um die purgatorische Wirkung von Feuer, das nach der Zerstörung Neuanfang und Hoffnung verspricht.
Wo staatliche Ordnung versagt
Alÿs’ Performance Paradox of Praxis 5 gehört zu dem 2010 begonnenen Werkkomplex Ciudad Juárez Projects, den der Künstler 2016 um eine 14-seitige Publikation erweitert hat. Diese enthält neben Arbeitsskizzen und Videostills auch…