Potsdam
Einhorn
Das Fabeltier in der Kunst
Museum Barberini 25.10.2025–01.02.2026
von Jörg Restorff
In seinem Buch „Die Geschichte der legendären Länder und Städte“ warnt Umberto Eco davor, Augenzeugenberichten übermäßiges Vertrauen zu schenken. Skepsis, so Eco, sei im Besonderen angebracht bei mittelalterlichen Reisereportagen – etwa bei jener, in der Marco Polo seine Asien-Expedition schildert. Auf Sumatra sah er Nashörner, die er umstandslos als Einhörner identifizierte. Eigentlich eine Sensation. Zwar werden die Tiere mit Pferdegestalt und markantem Horn auf der Stirnmitte von mehreren antiken Autoren bezeugt. Auch das Alte Testament, glaubte man, erwähnt sie mehrfach. Tatsächlich handelte es sich dabei um einen Übersetzungsfehler aus dem Hebräischen – das Wort „Re’em“ (ein kräftiges und wildes Tier) mutierte bei der Übertragung ins Griechische zum „Einhorn“. Zudem sind sie Teil der christlichen Bildüberlieferung. Gemälde der „Erschaffung der Menschen und Tiere“ oder dem „Auszug aus der Arche Noah“ zeigen wundersamerweise auch Einhörner. Und weil im Mittelalter die Vorstellung herrschte, ein Einhorn könne nur von einer Jungfrau eingefangen werden, repräsentiert es bei Mariendarstellungen sogar das Jesuskind.
Auf freier Wildbahn allerdings hatte die exotischen Vierbeiner in Europa noch niemand gesichtet. Gleichwohl verlief der Erstkontakt für Marco Polo enttäuschend. Statt der – von ihm erwarteten – zarten, weißen Wesen, die im Hortus conclusus mit Jungfrauen kuscheln, traf er auf Tiere, die kaum kleiner und ebenso plump wie Elefanten waren. Der (für uns) naheliegende Gedanke, dass er mit seiner Einhorn-These danebenlag, scheint für Marco Polo abwegig gewesen zu sein. Zu mächtig war die Autorität der Legende, als dass sich der Realitätssinn hätte Gehör verschaffen…