Fragen zur Zeit
Öl und Knochen
Ein Gedankengang von Francisco Goya über Marina Abramović zu Friedrich Merz
von Michael HÜBL
von Michael HÜBL
Beim Flanieren durch den Prado kommt ein Moment, an dem sich in Abwandlung einer gängigen Redensart der Satz aufdrängt: Auch Goya malte nur mit Öl. Der Künstler – wie sein komponierender Zeitgenosse Beethoven von Taubheit geschlagen und vielleicht deshalb umso hellsichtiger – ist in dem Madrider Museum ausgiebig vertreten: eine Sancta Barbara hier, eine Heilige Familie dort, dann Rokoko-Gestalten, die ein Tänzelein wagen, Porträts, Gesichter, Mode des späten 18. Jahrhunderts. Delikat gemalte galante Eleganz, aufs Feinste gesteigert in der Wiedergabe einer jungen Frau, hinter der ein verwegen gewandeter Bursche steht und den titelgebenden Sonnenschirm hält; El quitasol schützt die gepuderte Blässe der mädchenhaften Adeligen und korrespondiert farblich sublim mit dem mildgrünen Laub der umliegenden Vegetation. Alles sehenswert, aber nicht so, dass es einen außergewöhnlichen Ruf rechtfertigte. Nix mit staunendem Erstarren. In den Sälen des weitläufigen Gebäudekomplexes hängen viele unterschiedlich signierte Gemälde, die mindestens die gleiche Aufmerksamkeit verdienen wie die Werke des Francisco José de Goya y Lucientes. Aber dann ist da auf einmal Die Erschießung der Aufständischen. Ein Bild, bekannt aus unzähligen Publikationen, Kunstbänden, Geschichtsbüchern, Reiseführern, Broschüren, Internetpräsentationen. Von daher: abgenutzt, visuell verbraucht. Und doch verfehlt das auf gut neun Quadratmetern Leinwand realisierte Original nicht seine Wirkung. Goyas Interpretation der nächtlichen Strafaktion schlägt nach wie vor ein wie ein Schock. Erschütternd.
Dass dem Maler eine einzigartige Darstellung gelungen ist – zu diesem Eindruck hat er selbst beigetragen. In direkter Nachbarschaft zu der grell ausgeleuchteten…